Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
blasser.
»Ikey Sanders hat uns verraten.«
»Das hat er, wirklich? Dem werde ich eins reinwürgen, daß ihm die Augen übergehen.«
»Das würde uns nicht helfen. Wir müssen uns jetzt entschließen, was wir tun sollen.«
»Momentchen«, sagte der Boxer und blickte mißtrauisch zur Schlafzimmertür hinüber.
»Der da drin ist ein hinterhältiger Hund. Ob der wohl lauscht?«
»Wie kann er denn lauschen, bei der Musik.«
»Das stimmt. Vielleicht steht einer hinter einem Vorhang. Hier gibt es zu viele Vorhänge im Zimmer.« Als er in die Runde blickte, sah er plötzlich Holmes’ Abbild am Fenster, und er stand und starrte und wies mit dem Finger auf die Puppe und war zu erstaunt, um Worte zu finden.
»Unsinn! Das ist nur eine Wachsfigur«, sagte der Graf.
»‘n Schwindel, wie? Da hört sich doch alles auf! So ‘ne Art Madame Tussaud, oder wie seh ich das? Der Kerl wie ausgespuckt, Morgenmantel und alles. Aber was ist mit den Vorhängen, Graf?«
»Ach, der Teufel soll die Vorhänge holen! Wir vergeuden unsere Zeit, und wir haben ohnehin nicht genug davon. Er kann uns wegen des Steins ins Zuchthaus bringen.«
»Den Teufel kann er!«
»Aber er läßt uns laufen, wenn wir ihm nur sagen, wo das Ding ist.«
»Was? Aufgeben? Hunderttausend Eier einfach sausen lassen?«
»Entweder – oder.«
Merton kratzte sich das kurzgeschnittene Haar.
»Er ist allein da drin. Wir machen ihn fertig. Wenn wir ihm das Licht auspusten, brauchen wir keine Angst mehr zu haben.«
Der Graf schüttelte den Kopf.
»Er ist bewaffnet und auf der Hut. Wenn wir ihn erschießen, kommen wir aus dem Haus nicht heraus. Außerdem ist es wahrscheinlich, daß die Polizei alle Beweise kennt, die er zusammengetragen hat. Aber, hallo! was ist denn das?«
Vom Fenster her schien ein unbestimmbarer Laut gekommen. Die beiden Männer wandten sich schnell um, aber alles war still. Außer ihnen und der seltsamen Puppe im Sessel befand sich niemand sonst im Zimmer.
»Sicher etwas unten auf der Straße«, sagte Merton. »Nu machen Sie mal, Chef, Sie sind für die Kopfarbeit zuständig. Sie können sich bestimmt einen Weg aus dem Schlamassel einfallen lassen. Wenn es mit dem Ballermann nicht geht, dann lassen Sie sich was einfallen.«
»Ich habe schon Bessere an der Nase herumgeführt«, antwortete der Graf. »Der Stein ist in meiner Geheimtasche. Ich werde ihn doch nicht irgendwo zurücklassen. Heute abend kann er außer Landes sein und noch vor Sonntag in Amsterdam, in vier Teile zerschnitten. Er weiß nichts von van Seddar.«
»Ich denke, van Seddar fährt erst nächste Woche.«
»Das wollte er. Aber jetzt muß er ab mit dem nächsten Schiff. Einer von uns schafft den Stein in die Lime Street und sagt ihm Bescheid.«
»Aber der doppelte Boden ist doch noch nicht fertig.«
»Wir müssen uns eben der Lage anpassen und das Beste daraus machen. Wir dürfen keine Sekunde verlieren.« Wieder blickte er mit dem Instinkt für Gefahr, die einem Sportsmann eigen ist, scharf zum Fenster. Ja, der schwache Laut war sicherlich von der Straße gekommen.
»Was Holmes angeht«, fuhr er fort, »den können wir leicht an der Nase herumführen. Der blöde Narr will uns nicht verhaften lassen, wenn er den Stein bekommt. Da werden wir ihm also den Stein versprechen. Und dann setzen wir ihn auf die falsche Fährte, und ehe er merkt, daß es die falsche Fährte ist, wird der Stein in Holland sein und wir außer Landes.«
»Klingt großartig!« rief Sam Merton und grinste.
»Du gehst zu dem Holländer und machst ihm Beine. Ich spreche mit diesem Blödmann und werde ihm ein Geständnis hinlegen, das sich gewaschen hat. Ich sage ihm, der Stein sei in Liverpool. Verfluchte Jammer-Musik, die geht mir auf die Nerven! Wenn der feststellt, daß er nicht in Liverpool ist, wird der Stein längst in vier Teile zerschnitten sein, und wir sind auf der blauen See. Tritt ein bißchen zurück, daß man dich nicht durchs Schlüsselloch sehen kann. Hier ist der Stein.«
»Daß Sie sich trauen, das Ding mit sich herumzuschleppen!«
»Wo könnte der Stein sicherer aufgehoben sein? Wenn wir ihn aus Whitehall herausholen konnten, dann wird es bestimmt auch jemanden geben, der ihn aus meiner Wohnung rausholt.«
»Ich möchte ihn mir mal ansehen.«
Graf Sylvius warf einen wenig schmeichelhaften Blick auf seinen Partner und ignorierte die ungewaschene Hand,
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