Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
einen Vergleich arrangieren. Wir wollen Sie oder Sam nicht einsperren. Wir wollen den Stein. Geben Sie auf, und was mich angeht, so können Sie so lange frei herumlaufen, wie Sie sich anständig benehmen. Wenn Sie wieder ausrutschen – nun, das wäre dann das letzte Mal. Aber dieses Mal besteht mein Auftrag darin, den Stein und nicht Sie zu liefern.«
»Aber wenn ich mich weigere?«
»Ja nun, dann – leider! – sind Sie’s und nicht der Stein.«
Auf ein Klingelzeichen hin trat Billy ein.
»Ich glaube, Graf, es wäre schon gut, Ihren Freund Sam bei dieser Verhandlung dabeizuhaben. Schließlich sollte er seine Interessen vertreten können. Billy, Sie werden draußen vor der Eingangstür einen großen, häßlichen Gentleman sehen. Bitten Sie ihn herauf.«
»Wenn er nicht kommen will, Sir?«
»Keine Gewalt, Billy. Seien Sie nicht grob mit ihm. Sagen Sie ihm, daß Graf Sylvius nach ihm verlangt, dann kommt er bestimmt.«
»Was haben Sie vor?« fragte der Graf, als Billy verschwunden war.
»Gerade eben war mein Freund Watson bei mir. Ich erzählte ihm, ich hätte einen Hai und einen Gründling in meinem Netz; nun ziehe ich das Netz ein, und beide kommen herauf.«
Der Graf erhob sich, eine Hand am Rücken. Holmes’ Hand hielt einen Gegenstand, der die Tasche des Hausmantels beulte.
»Sie werden nicht in Ihrem Bett sterben, Holmes.«
»Den Gedanken habe ich oft. Ist das denn so wichtig? Nach allem, Graf, wird sich Ihr Abgang aus dieser Welt sehr wahrscheinlich eher in der Senkrechten als in der Horizontalen abspielen. Aber solche Vorwegnahmen der Zukunft sind morbide. Warum geben wir uns nicht dem uneingeschränkten Genuß der Gegenwart hin?«
Ein plötzliches raubtierhaftes Licht sprang auf in den dunklen drohenden Augen des Meisterverbrechers. Holmes’ Gestalt schien mit zunehmender Anspannung und Bereitschaft noch zu wachsen.
»Es ist sinnlos, am Revolver herumzufummeln, mein Freund«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Sie wissen ganz genau, daß Sie ihn nicht zu benutzen wagen, selbst wenn ich Ihnen die Zeit ließe, ihn zu ziehen. Schlimme Krachmacher, diese Revolver, Graf. Halten Sie sich lieber an Luftgewehre. Ah, ich glaube, ich höre den sanften Schritt Ihres geschätzten Partners. Guten Tag, Mr. Merton. Ziemlich langweilig auf der Straße, wie?«
Der Preisboxer, ein wuchtig gebauter junger Mann mit einem dummen, eigensinnigen, langgezogenen Gesicht, stand linkisch neben der Tür und blickte verwirrt drein. Holmes’ heitere Art bedeutete für ihn eine neue Erfahrung, und obwohl er dumpf fühlte, daß sie feindlich gesinnt war, wußte er ihr nicht zu begegnen. Er wandte sich hilfesuchend an seinen schlaueren Kameraden.
»Was wird hier gespielt, Graf? Worauf will dieser Bursche hinaus? Was ist los?« Seine Stimme klang tief und rauh.
Der Graf zuckte die Schultern, und es war Holmes, der antwortete.
»Wenn ich es auf die knappste Form bringen sollte, Mr. Merton, würde ich sagen, alles ist los.«
Der Boxer richtete seine Worte weiter an seinen Kumpan.
»Versucht die Type spaßig zu sein, oder was? Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt.«
»Das nehme ich auch nicht an«, sagte Holmes.
»Ich glaube, ich kann Ihnen versprechen, daß Sie mit dem Voranschreiten des Abends noch weniger Sinn für Humor haben werden. Nun schauen Sie mal, Graf Sylvius, ich bin ein vielbeschäftigter Mann und kann meine Zeit nicht vergeuden. Ich gehe jetzt dort in das Schlafzimmer. Bitte, fühlen Sie sich beide während meiner Abwesenheit wie zu Hause. Sie können Ihrem Freund, ohne sich durch meine Gegenwart gehemmt zu fühlen, erklären, wie die Dinge liegen. Ich werde die Barcarole aus ›Hoffmanns Erzählungen‹ auf der Violine durchspielen. In fünf Minuten bin ich wieder da, um Ihre endgültige Antwort zu hören. Sie haben die Alternative doch begriffen, nicht wahr? Sollen wir uns an Sie halten, oder bekommen wir den Stein?«
Holmes zog sich zurück und .angelte im Vorübergehen die Violine aus der Ecke. Wenige Minuten später drangen dünn die langgezogenen, klagenden Töne des bezauberndsten aller Musikstücke durch die geschlossene Tür des Schlafzimmers.
»Was ist los?« fragte Merton drängend, als sein Kumpan sich ihm zuwandte. »Weiß er von dem Stein?«
»Er weiß verdammt zuviel darüber. Ich bin nicht sicher, ob er alles weiß.«
»Großer Gott!« Das bleiche Gesicht des Boxers wurde noch einen Schein
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