Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
befreien?«
»Exakt.«
»Das sind, in knappster Form, auch meine Gründe.«
Der Graf sprang auf, und seine Hand bewegte sich unwillkürlich nach hinten zu seiner Hüfttasche.
»Setzen Sie sich, Sir, setzen Sie sich. Ich habe noch einen praktischeren Grund. Ich verlange den gelben Diamanten.«
Graf Sylvius lümmelte sich mit bösem Lächeln im Sessel.
»Wirklich?« sagte er.
»Sie wußten, daß ich deswegen hinter Ihnen her war. Sie sind heute nur zu mir gekommen, um herauszufinden, wieviel ich in der Angelegenheit weiß und ob es absolut notwendig ist, mich aus dem Weg zu räumen. Nun, dazu sage ich nur: Von Ihrem Standpunkt aus ist es absolut notwendig, denn ich weiß alles, mit einer Ausnahme, und die werden Sie mir verraten.«
»Oh, tatsächlich! Und, bitte, was wäre die fehlende Tatsache?«
»Wo sich der Krondiamant jetzt befindet.«
Der Graf sah seinen Gesprächspartner scharf an.
»Oh, darauf wollen Sie hinaus. Wie, zum Teufel, soll ich Ihnen sagen können, wo er ist?«
»Sie können, und Sie werden es mir sagen.«
»Tatsächlich!«
»Sie können mich nicht bluffen, Graf Sylvius.«
Holmes’ Augen, als er sein Gegenüber nun anblickte, blitzten und zogen sich zusammen, bis sie nur zwei drohende stählerne Punkte waren. »Sie sind durchsichtig wie eine Fensterscheibe. Ich sehe auf den tiefsten Grund Ihrer Gedanken.«
»Dann sehen Sie natürlich auch, wo der Diamant ist.«
Holmes klatschte vor Vergnügen in die Hände und richtete höhnisch den Finger auf den Mann. »Also Sie wissen es. Sie haben es zugegeben.«
»Ich gebe nichts zu.«
»Nun, Graf, wenn Sie vernünftig sein wollen, können wir miteinander ins Geschäft kommen. Wenn nicht, werden Sie Beulen davontragen.«
Graf Sylvius verdrehte die Augen zur Decke. »Und Sie reden von Bluff!« sagte er.
Holmes sah ihn gedankenvoll an, wie ein Schachmeister, der über seinen krönenden Zug sinnt. Dann zog er die Tischschublade auf und holte ein dünnes Notizbuch heraus.
»Wissen Sie, was ich in diesem Buch aufbewahre?«
»Nein, Sir, weiß ich nicht.«
»Sie!«
»Mich?«
»Ja, Sir, Sie . Hierin sind Sie vollständig enthalten – jede Tat Ihres nichtswürdigen und gefährlichen Lebens.«
»Verdammt, Holmes!« schrie der Graf mit flammendem Blick. »Meine Geduld kennt Grenzen!«
»Alles steht hier, Graf. Zum Beispiel die wirklichen Tatsachen um den Tod der alten Mrs. Harold, die Ihnen den Blymer-Besitz hinterließ, den Sie so geschwind verspielten.«
»Sie phantasieren!«
»Und die ganze Geschichte von Miss Minnie Warrender.«
»Quatsch. Daraus können Sie nichts machen.«
»Ich habe noch viel mehr, Graf. Hier ist der Überfall im Luxuszug zur Riviera am 13. Februar
1892. Und der gefälschte Scheck aus demselben Jahr, eingelöst bei der Crédit Lyonnais.« »Nein, da irren Sie.« »Dann habe ich in den anderen Dingen recht. Nun, Graf, Sie sind Kartenspieler. Wenn der Mitspieler alle Trümpfe auf der Hand hat, ist es an der Zeit, Ihre Karten wegzuwerfen.«
»Was hat das ganze Gerede mit dem Edelstein zu tun, von dem Sie sprachen?«
»Immer mit der Ruhe, Graf. Zügeln Sie Ihre Ungeduld. Lassen Sie mich in meiner langweiligen Manier die Punkte durchgehen. All dieses habe ich gegen Sie in der Hand; und darüber hinaus bin ich im Besitz klarer Beweise gegen Sie zwei, Sie und Ihren Kampfstier, im Fall des Krondiamanten.«
»Tatsächlich!«
»Ich habe den Droschkenkutscher ausfindig gemacht, der Sie nach Whitehall brachte, und ebenfalls den Droschkenkutscher, der Sie wieder wegfuhr. Ich kenne den Beamten, der Sie in der Nähe der Vitrine gesehen hat. Ich habe Ikey Sanders, der sich weigerte, sie für Sie aufzubrechen. Ikey hat geplaudert, das Spiel ist aus.«
Die Adern auf der Stirn des Grafen waren angeschwollen. Seine dunklen, behaarten Hände krampften vor unterdrückter Erregung. Er versuchte zu sprechen, aber die Worte wollten sich nicht bilden.
»Das sind also meine Karten«, sagte Holmes. »Ich lege sie auf den Tisch. Nur eine Karte fehlt mir. Es ist der Diamant-König. Ich weiß nicht, wo der Stein sich befindet.«
»Sie werden es nie erfahren.«
»Nein? Seien Sie vernünftig, Graf. Bedenken Sie Ihre Lage. Sie werden für zwanzig Jahre eingesperrt. Sam Merton ebenfalls. Was haben Sie dann von Ihrem Diamanten? Absolut nichts. Wenn Sie ihn aber herausgeben – nun, dann werde ich
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