Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
Einrichtung entdeckt wurde, denn obwohl man dort wußte, daß sie existierte, waren sie nach dem Tod des Man nes nicht in der Lage gewesen, herauszufinden, wo sie sich befand. Evans hatte in der Tat einen großen Dienst geleistet und insofern mehreren ehrenwerten C.I.D.-Leuten zu gesünderem Schlaf verholfen, da der Fälscher eine Klasse für sich ist und eine öffentliche Gefahr darstellt. Sie hätten ihm gern die Medaille in Größe eines Suppentellers, von der er gesprochen hatte, zubilligen wollen, aber ein verständnisloses Gericht vertrat einen weniger günstigen Standpunkt, und der Killer kehrte in das Dunkel zurück, dem er jüngst erst entstiegen.
Die Thorbrücke
Irgendwo in den Tresoren der Bank von Cox & Co. in Charing Cross gibt es eine auf Reisen abgenutzte, zerbeulte Blechkassette, deren Deckel meinen Namen, John H. Watson, M. D., ehem. Angehöriger der Indischen Armee, trägt. Sie ist vollgestopft mit Papieren, und das sind fast ausschließlich Berichte über Fälle, Illustrationen der merkwürdigen Probleme, mit denen sich Mr. Sherlock Holmes zu verschiedenen Zeiten befassen mußte. Einige, und nicht die uninteressantesten, waren komplette Fehlschläge und eignen sich insofern kaum zum Erzählen, weil es am Ende keine Lösung gibt. Ein Problem ohne Lösung mag den Studierenden ansprechen, aber den Zufallsleser wird es stark verdrießen. Eine dieser Geschichten ohne Schluß ist die des Mr. James Phillimore, der, nachdem er in sein Haus zurückgegangen war, seinen Regenschirm zu holen, nie mehr gesehen wurde. Nicht minder merkwürdig ist die vom Kutter Alicia , der eines Frühlingsmorgens in ein kleines Nebelgebiet hineinsegelte, aus dem er nie wieder auftauchte, und auch später hat man kein Sterbenswort mehr über Schiff und Mannschaft gehört. Ein dritter bemerkenswerter Fall ist der des Isadora Persano, des bekannten Journalisten und Duellanten, den man eines Tages total verrückt antraf, vor sich eine Streichholzschachtel, die einen bemerkenswerten, der Wissenschaft unbekannten Wurm enthielt. Abgesehen von jenen unaufgeklärten Fällen, befinden sich dort andere, die in einem Maß Geheimnisse einiger Familien in sich schließen, daß in vielen vornehmer Wohngegenden allein der Gedanke Bestürzung auslösen würde, sie könnten den Weg in die Druckpresse finden. Ich brauche nicht zu betonen, daß ein solcher Vertrauensbruch undenkbar ist und daß diese Berichte nun, da mein Freund Zeit hat, sich ihnen zu widmen, aussortiert und vernichtet werden. Bleibt ein beträchtlicher Rest von mehr oder weniger interessanten Fällen, den ich schon herausgegeben hätte, wäre nicht zu befürchten gewesen, daß sie in der Öffentlichkeit Verdruß erregt hätten mit möglichen Folgen für den Ruf des Mannes, den ich über alles verehre. In einige dieser Fälle war ich selber einbezogen und kann also als Augenzeuge sprechen, während ich bei anderen nicht zugegen war oder nur eine so kleine Rolle spielte, daß die Vorgänge wie von einer dritten Person erzählt werden müßten. Die folgende Episode beziehe ich aus meiner eigenen Erfahrung.
Es war ein stürmischer Morgen im Oktober, und ich beobachtete, während ich mich ankleidete, wie die letzten Blätter von der einsamen Platane gewirbelt wurden, die den Hof hinter unserem Hause zierte. Ich stieg zum Frühstück hinunter, gewärtig, meinen Gefährten in gedrückter Laune vorzufinden, denn, wie alle großen Künstler, ließ er sich leicht von seiner Umwelt beeindrucken. Doch ich traf ihn, im Gegenteil, besonders heiter und fröh lich gestimmt an, und er war fast mit der Mahlzeit fertig. Er wurde von jener irgendwie ernsten Heiterkeit beherrscht, die für seine lichteren Momente charakteristisch war.
»Haben Sie einen Fall, Holmes?« fragte ich.
»Die Gabe des Schlußfolgerns scheint anstekkend zu sein, Watson«, antwortete er. »Sie hat Sie befähigt, mein Geheimnis zu ergründen. Ja, ich habe einen Fall. Nach einem Monat voller Nebensächlichkeiten und voller Stillstand drehen sich die Räder wieder.«
»Dürfte ich das Geheimnis teilen?«
»Da ist wenig zu teilen, aber wir könnten die Sache besprechen, nachdem Sie die beiden hartgekochten Eier zu sich genommen haben, mit denen unsere neue Köchin uns bedacht hat. Ihre Beschaffenheit hat vielleicht mit der Nummer des ›Family Herald‹ zu tun, die ich gestern auf dem Tisch in der Halle entdeckt habe. Sogar eine so triviale Sache wie das Eierkochen erfordert eine Aufmerksamkeit, die
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