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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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erzählte mir, er sei einst groß gewesen –, gab es nichts mehr, das ihn hielt. Wir alle mochten sie gern und fühlten mit ihr und haßten ihn wegen der Art, wie er mit ihr umging. Er ist einnehmend und geschickt. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Geben Sie bei ihm nichts auf den Schein. Es steckt mehr dahinter. Ich gehe jetzt. Nein, nein, halten Sie mich nicht auf. Er müßte bald hier sein.«
      Mit einem erschrockenen Blick auf die Uhr rannte unser seltsamer Besucher buchstäblich zur Tür und war verschwunden.
      »Nun! Nun!« sagte Holmes nach einer Pause des Schweigens. »Mr. Gibson scheint von treuen Menschen umgeben zu sein. Aber die Warnung ist nützlich, und nun können wir nur noch warten, daß der Mann selber erscheint.«
      Genau zur angekündigten Zeit hörten wir einen schweren Schritt auf der Treppe, und der berühmte Millionär wurde ins Zimmer gebeten. Als ich ihn ansah, verstand ich nicht nur die Ängste und die Abneigung seines Inspektors, sondern auch die Verwünschungen, die so viele geschäftliche Rivalen auf seinen Kopf häuften. Wäre ich ein Bildhauer und wollte das Ideal eines erfolgreichen Mannes im öffentlichen Leben mit Nerven aus Eisen und ledernem Gewissen schaffen, würde ich Mr. Neil Gibson zum Modell gewählt haben. Seine lange, hagere, kantige Gestalt erweckte die Vorstellung von Hunger und Raubgier. Ein Abraham Lincoln, der auf Niedriges gerichtet ist, statt auf Hochherziges, könnte eine Vorstellung von dem Mann vermitteln. Sein Gesicht hätte aus Granit gehauen sein können – ohne Gefühl, steinern, mitleidlos, von tiefen Linien durchzogen, den Narben manch einer Krise. Kalte graue Augen, die gefährlich unter borstigen Brauen blickten, musterten uns abwechselnd. Er verbeugte sich nachlässig, als Holmes meinen Namen erwähnte, und dann zog er mit einer herrischen Geste des Besitzergreifens einen Stuhl bis dicht vor meinen Gefährten und setzte sich; seine knochigen Knie berührten beinahe die von Holmes.
      »Lassen Sie es mich geradezu sagen, Mr. Holmes«, hob er an, »Geld bedeutet mir in diesem Fall nichts. Sie können es verbrennen, wenn es gelingt, auf die Weise den Weg zur Wahrheit zu finden. Diese Frau ist unschuldig, und diese Frau muß reingewaschen werden, und es ist an Ihnen, das zu tun. Nennen Sie Ihre Forderung!«
      »Mein Honorar bemißt sich nach feststehenden Sätzen«, sagte Holmes kühl. »Davon weiche ich nicht ab, es sei denn, ich verzichte überhaupt auf Bezahlung.«
      »Gut, wenn Dollars Ihnen nichts bedeuten, dann denken Sie an Ihren Ruf. Wenn Sie in der Sache gewinnen, wird jede Zeitung in England und Amerika für Sie Reklame machen. Sie würden zum Gesprächsgegenstand beider Kontinente.«
      »Danke, Mr. Gibson, aber ich denke nicht, daß ich Reklame brauche. Es überrascht Sie vielleicht, daß ich es vorziehe, in der Anonymität zu bleiben, und daß es nur das Problem ist, das mich reizt. Aber wir vergeuden Zeit. Begeben wir uns also mitten hinein in die Tatsachen.«
      »Ich denke, das Hauptsächliche werden Sie in den Presseberichten finden. Ich wüßte nicht, daß ich irgend etwas hinzuzufügen hätte, das Ihnen helfen könnte. Doch wenn es etwas gibt, das Sie klarer beleuchtet haben möchten – nun, ich bin hier, um das zu tun.«
      »Ja, es gibt da eine Sache.«
      »Und was?«
      »Wie waren genau die Beziehungen zwischen Ihnen und Miss Dunbar?«
      Der Goldkönig zuckte heftig zusammen und erhob sich halb vom Stuhl. Doch dann verfiel er wieder in seine durch nichts zu erschütternde Ruhe.
      »Ich nehme an, es bewegt sich noch im Rahmen Ihrer Befugnisse – und möglicherweise ist es Ihre Pflicht –, daß Sie eine derartige Frage stellen, Mr. Holmes.«
      »Wir stimmen überein, wenn wir das annehmen«, sagte Holmes.
      »Ich kann Ihnen versichern, daß die Beziehungen jederzeit nur die eines Arbeitgebers zu einer jungen Dame waren, mit der er sich nie unterhielt und die er nie sah, außer sie befand sich in Gesellschaft seiner Kinder.«
      Holmes erhob sich.
      »Ich bin ein ziemlich beschäftigter Mann, Mr. Gibson«, sagte er, »und ich habe für sinnlose Gespräche weder die Zeit, noch finde ich Geschmack daran. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«
      Unser Besucher war ebenfalls aufgestanden, und seine große, legere Gestalt überragte Holmes. Unter den borstigen Brauen glomm es böse, und in die bleichen Wangen trat ein Anflug von Farbe.
      »Was, zum Teufel, soll das heißen,

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