Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
da nicht ein, Maud«, rief ihr Vater wütend.
Hilflos sah sie mich an.
»Was soll ich tun?«
»Bald wird die ganze Welt die Tatsachen kennen, und so kann es nicht schaden, wenn wir sie hier besprechen«, sagte ich. »Ich hätte eine vertrauliche Unterhaltung vorgezogen, aber wenn Ihr Vater es nicht gestatten will, muß er an der Erörterung teilnehmen.«
Ich erzählte von der Nachricht, die in der Tasche des Mannes gefunden worden war. »Sicherlich wird sie bei der gerichtlichen Voruntersuchung eine Rolle spielen. Dürfte ich Sie bitten, den Umstand nach Möglichkeit zu erhellen.«
»Ich sehe nicht, weshalb ich ein Geheimnis daraus machen sollte«, antwortete sie. »Wir waren verlobt, wollten heiraten und haben das nur für uns behalten, weil Fitzroys Onkel, der sehr alt ist und von dem es heißt, daß er bald sterben werde, ihn im Falle einer Heirat gegen seinen Willen vielleicht enterbt hätte. Es gab keinen anderen Grund.«
»Das hättest du uns sagen können«, brummte Mr. Bellamy.
»Das wäre geschehen, wenn du jemals Sympathie gezeigt hättest.«
»Ich habe etwas dagegen, daß sich meine Tochter mit Männern anfreundet, die nicht zu unserem Stand gehören.«
»Es war dein Vorurteil gegen ihn, das uns hinderte, dir etwas zu sagen. Und was zu meiner Nachricht noch zu sagen wäre« – sie kramte in ihrem Kleid und förderte einen zerknitterten Zettel zutage –, »sie war eine Antwort auf dies hier.«
»Liebste«, lautete die Botschaft, »an der gewohnten Stelle am Strand, Dienstag, gleich nach Sonnenuntergang. Zu anderer Zeit kann ich nicht von hier weg. F. M.«
»Heute ist Dienstag, und heute abend wollte ich mich mit ihm treffen.«
Ich betrachtete den Zettel.
»Das ist nie mit der Post gekommen. Wie haben Sie ihn erhalten?«
»Die Frage möchte ich lieber nicht beantworten. Sie hat wirklich nichts mit dem Fall zu tun, in dem Sie Nachforschungen anstellen. Aber auf alles, was damit wirklich zusammenhängt, werde ich freimütig Antwort geben.«
Sie stand zu ihrem Wort, aber aus dem, was sie dann sagte, sprang nichts heraus, das für die Untersuchung von Nutzen gewesen wäre. Sie konnte keinen Hinweis auf geheime Feinde ihres Verlobten geben, bejahte aber, daß sie mehrere heiße Verehrer besäße.
»Dürfte ich erfahren, ob Mr. Ian Murdoch dazugehörte?« fragte ich.
Sie errötete und schien verwirrt.
»Es gab eine Zeit, da dachte ich es. Aber das änderte sich, als er begriff, in welchem Verhältnis Fitzroy und ich zueinander standen.«
Wieder schienen mir die Schatten um diesen seltsamen Mann bestimmte Gestalt anzunehmen. Seine Vergangenheit mußte überprüft werden. Seine Zimmer mußten ohne sein Wissen durchsucht werden. Auf Stackhursts Unterstützung war zu rechnen, denn auch in seiner Vorstellung verdichtete sich der Verdacht. Als wir von unserem Besuch im Haus ›Der Hafen‹ zurückkehrten, hegten wir die Hoffnung, daß wir ein freies Ende des verworrenen Knäuels in die Hand bekommen hatten.
Eine Woche war vergangen. Die gerichtliche Voruntersuchung hatte kein Licht in den Fall gebracht und war zu weiterer Beweiserhebung vertagt worden. Stackhurst hatte vorsichtig Ermittlungen über seinen Untergebenen angestellt, und seine Zimmer waren oberflächlich inspiziert worden, aber ohne Ergebnis. Ich selber hatte das ganze Tatgeschehen noch einmal durchforscht, in praxi und auch geistig, doch keinerlei neue Schlußfolgerungen erlangt. Der Leser wird in den vielen Berichten über meine Arbeit nicht noch einen Fall finden, der mich so völlig an den Rand meiner Möglichkeiten gebracht hätte. Sogar meine Phantasie fand keine Lösung des Geheimnisses. Und dann ereignete sich der Zwischenfall mit dem Hund.
Es war meine alte Haushälterin, die als erste davon erfuhr, über die eigenartige drahtlose Telegraphie, mittels derer solche Leute das Neueste erfahren.
»Traurige Geschichte, Sir, das mit dem Hund von Mr. McPherson«, sagte sie eines Abends.
Im allgemeinen ermutige ich derartige Gespräche nicht, aber die Worte erregten meine Aufmerksamkeit.
»Was ist mit Mr. McPhersons Hund?«
»Er ist tot, Sir. Gestorben aus Trauer um seinen Herrn.«
»Woher wissen Sie das?«
»Darüber sprechen doch alle. Er hat sich den Verlust schrecklich zu Herzen genommen und eine Woche lang nichts mehr gefressen. Und heute haben ihn zwei der jungen Herrn aus dem Haus ›Zu den Giebeln‹ tot aufgefunden –
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