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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Jahrhundert und verabschiedete sich mit einem Handkuss.
    »Gute Nacht«, sagte sie. »Ich fand’s wirklich schön.«
    Ashley drehte sich um und betrat das Gebäude. Zwischen den beiden Glastüren wandte sie sich noch einmal um. Die Glühbirne über der Haustür warf einen kleinen gelben Lichtkegel auf die Treppe, und sie konnte undeutlich erkennen, wie Will an der Grenze zwischen dem fahlen Schimmer und der tiefschwarzen Nacht verweilte. Ein Schatten streifte sein Gesicht wie ein dunkler Pfeil, der auf ihn zielte. Doch sie dachte sichnichts dabei, winkte ihm noch einmal kurz zu und ging die Treppe zu ihrer Wohnung hoch, während sie die Vorfreude genoss und darüber zufrieden war, dass sie einen One-Night-Stand, wie er gang und gäbe war in den College-Kreisen, die sie demnächst hinter sich ließ, keine Sekunde lang in Betracht gezogen hatte. Sie schüttelte den Kopf. Als sie das letzte Mal dieser Versuchung nachgegeben hatte, war es schrecklich gewesen. Als ihr Vater aus heiterem Himmel bei ihr anrief, hatte er sie daran erinnert. Doch ebenso schnell, wie sie die Schlüssel zu ihrer Wohnung herausgefischt hatte, verbannte sie den Gedanken an frühere schlechte Nächte und überließ sich dem angenehmen Gefühl des ausklingenden Abends.
    Sie war gespannt, wie lange Will nach dem ersten Date brauchen würde, um sie zum zweiten einzuladen.
     
    Nachdem Ashley hinter der zweiten Tür verschwunden war, blieb Will Goodwin noch einen Moment lang in der Dunkelheit stehen. Er genoss die Woge der Freude, diese Hochstimmung und Leichtigkeit angesichts des zurückliegenden Abends und der rosigen Aussichten auf mehr.
    Er war ein bisschen überwältigt. Von der Freundin eines Freundes, die ihm Ashleys Telefonnummer gegeben hatte, wusste er bis zu diesem Treffen nur so viel, dass Ashley schön und intelligent, wenn auch ein bisschen unergründlich sei, doch sie hatte seine kühnsten Erwartungen in jeder Hinsicht übertroffen. Er war bei ihr wohl nur knapp um das Langweiler-Etikett herumgekommen.
    Gegen den zunehmend kalten Wind vorgebeugt, steckte Will die Hände tief in seine Parkataschen und machte sich auf den Weg. Die Luft hatte etwas Archaisches an sich, als würde genau dieselbe frostige Oktoberbrise seit Generationen durch Bostons Straßen fegen. Er merkte, wie sich von diesem unnachgiebigennächtlichen Ansturm seine Wangen röteten, und er hastete zur U-Bahn-Haltestelle. Mit seinen langen Beinen kam er auf dem Bürgersteig zügig voran. Sie war auch ziemlich groß, knapp eins fünfundsiebzig, schätzte er, mit einer geschmeidigen Model-Figur, die auch Jeans und ein weites Baumwoll-Sweatshirt nicht verbergen konnten. Während er zwischen dem Verkehr hindurch auf halber Höhe des Häuserblocks die Straße überquerte, wunderte er sich darüber, dass die Kerle sie nicht belagerten; wahrscheinlich lag es an einer unglücklichen Beziehung oder anderen schlechten Erfahrungen, die sie hinter sich hatte. Er beschloss, nicht darüber zu spekulieren, sondern einfach nur seinem glücklichen Schicksal zu danken, dass er Ashley über den Weg gelaufen war. Bei seinem Studium ging es ständig um Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit. Doch er war skeptisch, dass die statistischen Methoden, von denen er bei seiner klinischen Arbeit mit Laborratten Gebrauch machte, bei so etwas wie der Begegnung mit Ashley irgendeine Aussagekraft besaßen.
    Will musste innerlich grinsen, während er in großen Sprüngen die Stufen zur U-Bahn hinunterhechtete.
    Wie in den meisten Großstädten auf dem Globus hat man auch in Boston das Gefühl, eine andere Welt zu betreten, wenn man durch die Drehkreuze auf die Bahnsteige gelangte. Die weiß gekachelten Wände glitzern im Neonlicht, zwischen den Stahlpfeilern sammeln sich die Schatten. Das Getöse der ein- und ausfahrenden Züge am eigenen Bahnsteig reißt ebenso wenig ab wie das dumpfe Dröhnen auf den entfernteren Gleisen. Die Außenwelt ist abgeschnitten. In diesem kleinen Paralleluniversum scheinen Wind, Regen und Schnee oder auch nur die warme Sonne Bestandteil einer anderen Welt zu sein.
    Sein Zug hielt mit lautem Kreischen, und Will stieg zügig zusammen mit einem Dutzend Fahrgästen ein. In dem kaltenLicht wirkten alle kränklich bleich. Einen Moment lang spekulierte er über die Unbekannten, die sich entweder hinter einer Zeitung oder einem Buch versteckten oder mit leerem Blick geradeaus starrten. Er lehnte den Kopf zurück und genoss das Rütteln und Wiegen in seinen Gliedern wie ein Baby auf

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