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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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herausgefunden, wo er uns am leichtesten treffen kann, und das hat er sich zunutze gemacht. Dasselbe hat er mit Ashley getan. Er stellt alles auf den Kopf, um Kontrolle auszuüben. Wozu sitzen wir hier zusammen? Weil wirglauben, dass er ihr was antun wird. Sie vielleicht sogar töten wird, falls seine Frustration eskaliert. Wenn ich versuche, die Dinge mit etwas Abstand zu sehen, dann denke ich, dass wir mit ihm nur machen, was er bereits mit uns gemacht hat. Wir richten enormen Schaden an, ohne eine Spur zu hinterlassen.« Wieder erwiderten die anderen beiden nichts, doch alles, was Sally sagte, schien ihnen logisch. Scott und Hope betrachteten die Frau, die sie einmal geliebt hatten oder noch immer liebten, und sahen jemanden, den sie kaum wiedererkannten.
    »Wir müssen Vater und Sohn zusammenbringen. Das wäre von entscheidender Bedeutung. Sie müssen miteinander konfrontiert werden. Hoffentlich gehen sie sich an die Gurgel. Sie müssten etwas tun, das die Polizei nachweisen kann. Ich meine, es müsste klar erwiesen sein, dass sie sich getroffen und geprügelt haben. Und in diese Wut müssen wir uns einmischen. Heimlich, ohne die geringsten Spuren zu hinterlassen – ganz und gar unsichtbar – außer für den Mann, den wir töten.«
    Sally sah jetzt nicht mehr Hope und Scott an, sondern starrte zur Decke. Sie sprach in einem nachdenklichen, beinahe spekulativen Ton. »Seht ihr, das wäre nur logisch. Sie hassen und misstrauen einander. Ihre Beziehung ist von Gewalt geprägt. Sie haben noch ein paar Rechnungen offen. Was wäre da näherliegend, als dass der Sohn im Zorn den Vater tötet?«
    »Stimmt«, pflichtete Scott bei. »Eine Gerechtigkeit wie in der griechischen Tragödie. Aber sie gehen sich seit Jahren aus dem Weg. Wie wollen wir …«
    Sally hob die Hand. Sie sprach leise. »Falls er annimmt, dass Ashley im Haus seines Alten ist …«
    »Du willst sie als Köder benutzen?«, platzte Scott heraus. Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist unmöglich.«
    »Was für einen Köder hätten wir denn sonst?«, antwortete Sally mit einer Gegenfrage.
    »Ich dachte, wir wären uns darin einig, Ashley aus allem rauszuhalten«, wandte Hope ein.
    Sally zuckte die Achseln. »Ashley könnte einen Anruf machen, ohne zu wissen, wozu. Wir könnten ihr in den Mund legen, was sie sagen soll.«
    Hope beugte sich vor. »Nur mal angenommen … rein hypothetisch, wir könnten sie beide in dasselbe Zimmer bestellen. Und dann kreuzen wir plötzlich auf … wie sollen wir ihn da töten?« Sie war verblüfft, als sie ihre eigenen Worte hörte.
    Sally überlegte. »Wir sind nicht stark genug …« Plötzlich wirkte ihr Gesicht wie versteinert. »Du sagst, O’Connell hat eine Pistole?«
    »Ja. In seiner Wohnung versteckt.«
    Sally nickte. »Die müssen wir verwenden. Nicht nur ein gleiches Modell. Genau die – seine eigene Waffe. Mit seinen Fingerabdrücken und vielleicht seiner DNA.
    »Und wie kommen wir da ran?«, fragte Scott.
    Hope griff wortlos in ihre Jeanstasche und hielt den Schlüssel zu O’Connells Wohnung hoch.
    Die anderen beiden starrten sie an. Und obwohl keiner von ihnen etwas sagte, dachten sie beide dasselbe: Es wäre immerhin möglich.
     
    Sally blieb allein zurück, während Scott und Hope sich zu Catherine und Ashley gesellten, um zu essen, was die beiden vorbereitet hatten. Ein Teil von ihr war wie elektrisiert, fieberte geradezu dem Mord entgegen.
    Angesichts der Ironie des Ganzen hätte sie laut lachen können. Wir sind dabei, etwas zu tun, das uns für immer verändern wird, damit wir uns nicht ständig ändern müssen. Sie hörte Hopes Stimme aus der Küche und musste unwillkürlich denken, dass sie nur wegen Michael O’Connell und seines Vaterswieder an den Punkt kommen konnten, an dem sie sich noch liebten. Sie fragte sich, ob der Weg zum Leben über den Tod führen konnte. Zweifellos lautete die Antwort ja. Soldaten, Feuerwehrleute, Rettungskräfte, Polizisten – sie alle wissen, dass sie eines Tages vor diese Wahl gestellt sein könnten, dass sie sich möglicherweise einmal selbst opfern mussten, damit andere überlebten. Waren sie nicht in einer ähnlichen Situation?
    Sie griff nach ihrem gelben Kanzleiblock und einem billigen Kugelschreiber.
    Sally machte sich daran, Ideen zu notieren. Zunächst erstellte sie eine Liste mit Dingen, die sie brauchen würden, sowie mit Details, die der ermittelnden Polizei zwingend einen bestimmten Tathergang nahelegten. Während sie die Aufstellung ergänzte, wurde

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