Das Opfer
fragte sich, wo Hope stecken mochte,während sie Catherine in der Küche herumhantieren hörte. Dann rief sie Scott zu Hause an.
»Ja?«
»Scott? Ich bin’s, Sally.«
»Alles in Ordnung?«
»Ja. Wir haben den Tag mehr oder weniger ohne besondere Vorkommnisse hinter uns gebracht«, berichtete sie und ließ unerwähnt, dass O’Connell an diesem Morgen in ihrer Straße gelauert hatte. »Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass das noch lange der Fall ist.«
»Das kann ich nachvollziehen.«
»Gut, will ich hoffen. Ich denke nämlich, du solltest rüberkommen.«
»Meinetwegen …« Er wirkte unentschlossen.
»Es ist Zeit, dass wir handeln.« Sally lachte trocken, als hätte sie eine zynische Ader bei sich entdeckt. »Ich habe den Eindruck, als hätte es in den letzten Wochen mehr Übereinstimmung zwischen uns gegeben als während all der Jahre unserer Ehe.«
Auch Scott verzog den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln. »Seltsame Sicht der Dinge. Vielleicht hast du recht. Aber wir hatten auch Zeiten, die gar nicht so schlecht waren.«
»Du hast ja nicht eine Lüge gelebt wie ich.«
»Lüge ist ein starkes Wort.«
»Hör mal, Scott, ich möchte den alten Streit nicht wieder anfangen, wenn du nichts dagegen hast.«
Sie schwiegen einen Moment, dann fügte Sally hinzu: »Wir sollten uns nicht ablenken lassen. Hier geht es nicht darum, wo wir einmal standen, sondern darum, welche Perspektive wir haben, oder sogar darum, wer wir sind. Und vor allen Dingen geht es um Ashley.«
»Okay«, sagte Scott, der plötzlich einen gewaltigen Gefühlssumpfzwischen ihnen vor Augen hatte, über den sie nie geredet hatten und nie reden würden.
»Ich habe einen Plan«, platzte Sally heraus.
»Gut«, sagte er, nachdem er tief Luft geholt hatte. Er war sich nicht sicher, ob er es auch so meinte.
»Ich weiß nicht, ob es ein guter Plan ist und ob er funktioniert.
Ich weiß auch nicht, ob wir das hinbekommen.«
»Lass hören.«
»Wir sollten das nicht am Telefon besprechen, zumindest nicht diese Dinge.«
»Sicher, du hast recht.« Er war sich nicht ganz so sicher, ob sie damit recht hatte, aber er sagte es trotzdem. »Ich komm gleich.« Er legte auf und musste plötzlich denken, dass die Routine etwas Schreckliches an sich hatte. Zu unterrichten und mit all den Gespenstern von Staatsmännern, Soldaten und Politikern allein zu sein, die seine Seminare bevölkerten, dies füllte seine Tage aus und machte alles so vollkommen vorhersehbar. Das würde sich wohl bald ändern.
Hope war zurück, bevor Scott eintraf. Sie war spazieren gegangen und hatte ohne viel Erfolg versucht, sich über ihre Situation Klarheit zu verschaffen. Sie fand Sally im Wohnzimmer, wo sie, einen Bleistift zwischen den Lippen, über ein paar losen Blättern brütete. Bei Hopes Eintreten sah sie auf.
»Ich hab einen Plan. Ich weiß zwar nicht, ob es funktioniert, aber Scott ist schon unterwegs, und wir können es zusammen durchgehen.«
»Wo sind Mutter und Ashley?«
»Oben. Keineswegs begeistert, dass wir sie beim Treffen nicht dabeihaben wollen.«
»Mutter schätzt es nicht, ausgeschlossen zu werden, was für jemanden, der einen großen Teil seines Lebens allein im Waldvon Vermont verbracht hat, zwar seltsam sein mag, aber so ist sie nun mal.« Hope zögerte, und Sally sah auf, weil Hope stockte.
»Was ist?«
Hope schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht so genau, aber versuche doch, Folgendes nachzuvollziehen: Sie tut, worum wir sie bitten, ja? Nur dass ihr das vollkommen gegen den Strich geht. Sie ist immer eine Einzelgängerin gewesen, die sich nicht den Teufel um die Meinung anderer Leute schert. Und ihre scheinbare Gefügigkeit … na ja, ich bin mir nicht so sicher, ob wir darauf bauen dürfen, dass sie jemals genau das tut, worum wir sie bitten. Sie ist ein bisschen unberechenbar. Mein Dad hat das immer an ihr geliebt und ich auch, wenn man davon absieht, dass es für mich als Jugendliche gelegentlich nicht ganz so einfach war, falls du verstehst, was ich meine.«
Sally lächelte. »Bist du denn so viel anders als sie?«
Hope zuckte die Achseln, musste aber lachen. »Wahrscheinlich nicht.«
»Und meinst du nicht, dass ich mich genauso davon angezogen gefühlt habe?«
»Ich hab eigentlich
Sturheit
und
Unberechenbarkeit
nie für meine stärksten Charaktereigenschaften gehalten.«
»Da siehst du mal, wie wenig du weißt.« Sally brachte ein zartes Grinsen zustande, während sie sich erneut über ihre ausgebreiteten Papiere beugte.
Die
Weitere Kostenlose Bücher