Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
ins Gras gebissen. Er war ein mieser Ehemann, ein mieser Vater, ein mieser Nachbar und verlogen bis auf die Knochen. Wissen Sie, wenn der ’nen Hund gehabt hätte, dann hätte er das Biest verhungern lassen und aus Prinzip zwei Mal am Tag verprügelt, verstehen Sie? Na jedenfalls war im Haus und am Tatort noch genug übrig, um dem Täter auf die Spur zu kommen.«
    Ich nickte. »Und was genau?«
    »Läuft auf zweierlei hinaus. Ich meine, Sie haben ein Feuer und eine teilweise verkohlte Leiche, und so dämlich, wie wir nun mal sind, dachten wir anfänglich, der alte O’Connell hätte sich besoffen und es irgendwie geschafft, sich mitsamt seiner Bude in Brand zu setzen. Sie wissen schon, verliert mit ’ner Zigarette im Mund und ’ner Pulle Schnaps in der Hand das Bewusstsein. Natürlich hätte er dafür eigentlich im Wohnzimmer in einem Sessel sitzen oder im Schlafzimmer im Bett liegen müssen statt auf dem Küchenboden. Aber als der Gerichtsmediziner die Leiche auf dem Tisch hat und ein paar verkohlte Fleischreste wegschält, entdeckt er die Schusswunde und eine Kugel Kaliber fünfundzwanzig in seinem Hirn, dann auch noch eine in der Schulter. Na ja, da sahen die Dinge auf einmal ein bisschen anders aus. Also schauen wir uns die triefende Schweinerei noch einmal an und suchen nach irgendwelchen Anhaltspunkten. Aber inzwischen hat der Doc unter den Fingernägeln des Alten auch noch Hautpartikel gefunden, also haben wir ’ne ganz gute DNA, und siehe da, das Chaos im Haus sieht ganz danach aus, als hätte ein Kampf stattgefunden, der fürden alten Gauner nicht so gut gelaufen ist. Und als wir dabei sind, den Tatort zu filzen, erinnert sich plötzlich einer der Nachbarn, dass er gesehen hat, wie, nicht allzu lange bevor der Rauch aufsteigt, ein Wagen mit ’nem Kennzeichen aus Massachusetts mit quietschenden Reifen rausfährt. Das und die DNA-Analyse haben uns einen Durchsuchungsbefehl eingebracht. Und raten Sie mal, was wir da finden?«
    Er lächelte und schnaubte amüsiert. Die Befriedigung eines Polizisten über die Erfahrung, dass die Dinge ab und zu so laufen, wie sie sollen.
    Ich war mir nicht so sicher, ob ich zum gleichen Schluss gelangt wäre.

45
Ein einseitiger Anruf
     
    Hope fuhr Richtung Norden durch die Mautstation an der Grenze nach Maine; sie wollte zu einer Stelle in der Nähe der Küste, die sie aus einem Urlaub vor vielen Jahren in Erinnerung hatte, nicht lange, nachdem sie und Sally sich ineinander verliebt hatten. Sie hatten die kleine Ashley mit auf ihre erste gemeinsame Reise genommen. Es war eine wilde Landschaft. Ein Park mit üppig wachsenden dunklen Bäumen und dichtem Unterholz reichte direkt bis ans Wasser, und die Atlantikbrecher schlugen an die felsige Steilküste, so dass die salzige Gischt in die Höhe spritzte. Wenn im Sommer die Seehunde an der Küste spielten und ein Dutzend verschiedene Möwenarten in den auflandigen Brisen kreischten, war es ein zauberhafter Ort. Jetzt war er wahrscheinlich einsam und verlassen und der einzige Platz, der ihr einfiel, an dem sie in Ruhe überlegen konnte, wie genau es weitergehen sollte.
    Sie drückte den Arm gegen die Wunde in ihrer Seite. Das half, die Blutung ein wenig zu stillen, während die Verletzung selbst in einen konstanten, pochenden Schmerz übergegangen war. Mehr als einmal glaubte sie, kurz vor einer Ohnmacht zu sein, doch dann hatte sie mit zusammengebissenen Zähnen immer wieder letzte Kraftreserven mobilisiert und traute sich zu, es bis ans Ziel zu schaffen.
    Sie versuchte zu raten, was innerlich mit ihr passiert war. Sieführte sich die verschiedenen Organe vor Augen – Magen, Milz, Leber, Darm – und versuchte gleichsam wie bei einem Quiz zu raten, welche die Klinge aufgeschlitzt oder eingeschnitten hatte.
    Die ländliche Gegend wirkte noch dunkler als der nächtliche Himmel. Fichten standen in größeren Gruppen wie Zeugen an der Straße aufgereiht, um den Gang der Dinge zu verfolgen. Als sie von der Mautstraße abbog, keuchte sie schwer, weil ihr beim Drehen des Lenkrads an der Abfahrt und über ein Netz kleiner Nebenstraßen ein spitzer Schmerz in die Eingeweide stach. Sie versuchte, gleichmäßig und behutsam die frische Nachtluft ein- und auszuatmen.
    Sie gab sich der Phantasie hin, sie sei tatsächlich auf dem Weg zu dem Haus, in dem sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich an ihre Mutter in früheren Jahren – wie sie sich, die Haare hochgesteckt, im Garten mit den Blumen abmühte, während ihr Vater neben dem Haus auf

Weitere Kostenlose Bücher