Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
dem Spielfeld, das er für sie angelegt hatte, versuchte, einen Fußball in der Luft zu jonglieren. Sie hörte, wie er rief, sie solle ihre Fußballschuhe anziehen und herauskommen, um mit ihm zu spielen. Seine Stimme klang kräftig und nicht so dünn wie später im Krankenhaus.
    Ich komme, dachte sie.
    Kleine braune Wegweiser gaben ihr alle paar Kilometer die Richtung zum Park an, und mittlerweile roch sie schon ein wenig Salz in der Luft. Sie erinnerte sich an einen versteckten Parkplatz, der in einer Novembernacht zweifellos leer sein würde. Ein sehr schmaler, mit einer dicken Nadelschicht weich gepolsterter Pfad führte durch Bäume und Gebüsch hindurch an einem Picknickplatz vorbei und danach noch einmal ein bis anderthalb Kilometer bis zum Meer. Sie schaute nach oben und sah, dass Vollmond war. Sie wusste, dass sie vielleicht auf sein spärliches Licht angewiesen war. Er war gelb umrandet,und sie nahm an, dass Schnee und Eis nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Sie bezweifelte, dass in dieser Nacht noch irgendjemand anders hierherkommen würde; sie hätte nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. Sie hätte nicht mehr die Kraft gehabt, selbst auf die wohlmeinendsten Fragen eines Polizisten oder Parkwächters zu lügen.
    Hope sah noch ein Schild – ein großes weißes
H
mitten auf blauem Grund.
    Das war eine unfaire Versuchung, dachte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, dass der Park nur wenige Kilometer von einem Krankenhaus entfernt lag.
    Einen Moment lang dachte sie daran, in diese Richtung abzubiegen: ein breiter Streifen helles Licht und ein neonrotes Schild mit den Lettern NOTAUFNAHME. Wahrscheinlich ein, zwei Krankenwagen, die auf einer kreisrunden Einfahrt in der Nähe standen. Direkt hinter der Tür würde eine Nachtschwester an der Theke sitzen.
    Sie stellte sich die Schwester vor: eine stämmige Frau in mittlerem Alter, die Blut oder Gefahr nicht erschüttern konnte. Sie würde einen einzigen Blick auf die Wunde in Hopes Seite werfen; im nächsten Moment würde Hope ins grelle Neonlicht des Untersuchungszimmers blicken sowie die verhaltenen Stimmen eines Arztes und der Schwestern hören, die sich über sie beugten, um ihr das Leben zu retten.
    Wer hat Ihnen das angetan?
, würde sie jemand fragen. Sie würden ein Klemmbrett zur Hand halten, um ihre Antwort festzuhalten.
    Ich selbst
.
    Nein, im Ernst, wer war das? Die Polizei ist schon unterwegs und wird Sie dasselbe fragen. Bitte sagen Sie es uns
.
    Ich kann es nicht sagen
.
    Wir haben Fragen, wir brauchen Antworten. Wieso sind Siehier? Wieso sind Sie so weit von zu Hause weg? Was haben Sie diese Nacht getan?
    Das werde ich nicht sagen
.
    Das ist nicht dasselbe, wie, das kann ich nicht sagen. Wir haben unsere Vorbehalte, unsere Zweifel. Falls Sie diese Nacht überleben, werden wir noch eine Menge Fragen an Sie haben
.
    Ich werde sie nicht beantworten
.
    Doch, das werden Sie. Früher oder später. Und dann wüssten wir auch noch gerne, wieso das Blut von jemand anderem an Ihrem Overall ist. Wie kommt das dahin?
    Hope biss die Zähne zusammen und fuhr geradeaus weiter.
     
    Sally parkte fast an derselben Stelle gegenüber von Michael O’Connells Wohnung, an der sie früher an diesem Abend schon einmal gestanden hatte. Außer den anderen parkenden Autos in beiden Richtungen war die Straße leer. Es herrschte die Dunkelheit des Randbezirks, in dem die Nacht in jeden Winkel kroch, um die Schatten wie schwarze Tinte zusammenfließen zu lassen und das Licht abzuwehren, das aus den belebteren Gegenden der Innenstadt herüberdrang.
    Sie sah zuerst auf ihre Armbanduhr und dann auf die Stoppuhr, die für den ganzen Tag programmiert war. Sie atmete langsam ein.
    Die Zeit verging allzu schleppend.
    Sally starrte zu der Fassade von Michael O’Connells Wohnhaus hoch. Seine Fenster blieben dunkel. Als sie nach rechts und links die Straße entlang blickte, wurde Sally heiß. Wie nahe war er schon? Noch zwei Minuten? Zwanzig? Fuhr er überhaupt hierher?
    Sie schüttelte den Kopf. Bei umsichtigerer Planung hätten sie jemanden abgestellt, der ihn vom Haus seines Vaters an beschattet hätte, und sie hätten jeden seiner Schritte an diesemTag verfolgt. Sie biss sich auf die Lippe. Andererseits hätte es einen von ihnen in Gefahr gebracht, da er O’Connell allzu nahe gekommen wäre. Deshalb hatte sie sich die Verzögerung ausgedacht – die zeitliche Lücke zwischen seinem Abgang und seiner Heimkehr. Doch Scott hatte die Waffe gefährlich spät

Weitere Kostenlose Bücher