Das Opfer
Direktor zeigte auf den Bildschirm. »Also, dann geben Sie Ihr Museumspasswort ein.«
»Aber …«
»Tun Sie mir den Gefallen«, sagte er kalt.
Sie beugte sich vor und tippte es ein. Augenblicklich wechselte der Bildschirm, und eine neue Seite erschien. Wieder ertönte eine Fanfare. Etwas von Wagner.
»Ich verstehe das nicht …«
»Aber sicher, natürlich nicht …«
»Jemand hat mir das angehängt«, beteuerte Ashley. »Ein Exfreund von mir. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber er kennt sich mit Computern gut aus, und er muss …«
Der stellvertretende Direktor hob die Hand. »Sagten Sie nicht eben noch, bei Ihnen liefe alles ganz normal? Das war das Erste, was ich Sie gefragt habe, und Sie haben nein gesagt, es gebenichts Besonderes. Ein Exfreund, der Sie auf einer modernen Nazi-Website zum Mitglied einer von Hass getriebenen Gruppierung macht, also wirklich, ich würde das schon als
ungewöhnlich
bezeichnen.«
»Das ist, er ist, ich weiß nicht …«
Der stellvertretende Direktor schüttelte den Kopf. »Bitte verärgern Sie mich nicht noch mehr mit lahmen Entschuldigungen. Sie sind den letzten Tag hier gewesen, Ashley. Selbst wenn Ihre Entschuldigung der Wahrheit entsprechen sollte, nun ja, wir können hier so etwas nicht dulden, weder den widerwärtigen Freund noch die echte Überzeugung. Beides ist in einer Atmosphäre der Toleranz, wie wir sie hier zu fördern versuchen, vollkommen inakzeptabel. Das hier ist Hass-Pornographie. Ich lasse das nicht zu. Und, um ehrlich zu sein, bin ich mir auch nicht sicher, ob ich Ihnen glauben kann. Wir werden Ihnen Ihren letzten Gehaltsscheck zuschicken. Gute Nacht, Miss Freeman. Bitte kommen Sie nicht wieder. Und«, fügte er hinzu, »erwarten Sie auch keine Empfehlung.«
Ashley schwankte zwischen unbändiger Wut und Tränen der Enttäuschung, als sie durch die einbrechende Nacht zurück zu ihrer Wohnung ging. Mit jedem Schritt wurde sie wütender und konnte kaum noch die Schatten und die Dunkelheit erkennen, die sie umgaben. Fast im Stechschritt lief sie durch die Straßen der Stadt und versuchte vergeblich, sich einen Aktionsplan zurechtzulegen. Vor Zorn konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, und so überließ sie sich dem Aufruhr, bis ihr ganzer Körper zitterte. Niemand, der bei Sinnen war, würde einem anderen erlauben, das Leben vollkommen zu versauen, und sie
war
vollkommen bei Sinnen, also musste das Ganze ein Ende haben, und zwar noch an diesem Abend.
Sie warf ihre Jacke und ihren Rucksack aufs Bett und liefschnurstracks zum Telefon. In Sekundenschnelle hatte sie Michael O’Connells Nummer gewählt. Er klang verschlafen, nicht ganz da, als er sich meldete.
»Ja, wer ist da bitte?«
»Du weißt verdammt noch mal sehr gut, wer dran ist«, schrie sie bitter.
»Ashley! Ich wusste, dass du anrufen würdest …«
»Du Scheißkerl! Du hast mir meine Arbeit an der Uni versaut. Jetzt hast du mich um meinen Job gebracht. Was für ein mieser Typ bist du eigentlich?«
Er sagte nichts.
»Lass mich in Ruhe! Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe?«
Er schwieg.
Sie kam in Fahrt. »Ich hasse dich! Sei verdammt, Michael! Ich hab dir gesagt, es ist vorbei, und das meine ich auch! Ich will dich nie wiedersehen. Ich kann nicht fassen, dass du mir das antust. Und du hast die Stirn zu behaupten, dass du mich liebst? Du bist krank, du bist ein schlechter Mensch, Michael, und ich will, dass du aus meinem Leben verschwindest. Für immer! Verstehst du?«
Er antwortete immer noch nicht.
»Hörst du, Michael? Es ist vorbei! Finito. Endgültig und für alle Zeiten. Was immer du dir eingebildet hast, es ist aus und vorbei. Geht das in deinen Schädel?«
Sie wartete auf eine Antwort, doch die blieb aus. Das Schweigen kroch langsam wie Weinranken an ihr hoch.
»Michael?«, fragte sie. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass er nicht mehr dran war, dass er aufgelegt hatte, so dass ihre Worte ins Leere gingen. »Hast du das begriffen? Es ist aus …«, versuchte sie es noch einmal.
Wieder begegnete ihr nur Schweigen.
Sie glaubte, seinen Atem durchs Telefon zu hören.
»Michael, bitte. Es muss ein Ende haben.«
Als er dann doch reagierte, erschrak sie beinahe.
»Ashley«, sagte er fast beschwingt, mit einem leisen Lachen in der Stimme, als spräche er eine andere Sprache, von der sie kein Wort verstand. »Es ist wunderbar, deine Stimme zu hören. Ich zähle die Tage, bis wir wieder zusammen sein können.«
Er legte eine Pause ein, bevor er hinzufügte:
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