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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Formen zu entstellen und die Farben zu verfälschen.
    Der Vizedirektor deutete auf einen Stuhl, während er sich hinter seinen Schreibtisch setzte. Er hielt inne, zupfte seine Krawatte zurecht, seufzte und sah sie direkt an. Der Mann hatte die nervöse Eigenart, sich im unpassenden Moment die Hände zu reiben. »Ashley, es hat Beschwerden über Sie gegeben.«
    »Beschwerden? Was für Beschwerden?«
    Er antwortete nicht direkt. »Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Probleme?«
    Sie wusste zwar, dass die Antwort ja lautete, doch sie wollte dem Direktor nicht mehr als nötig Auskunft über ihr Privatleben geben. Sie hielt ihn für einen Schmeichler und Hohlkopf. Sie wusste, dass er daheim in Somerville zwei kleine Kinder hatte, ein Umstand, der ihn nicht davon abhalten konnte, jede neue junge Mitarbeiterin anzumachen. »Nein. Nichts von Bedeutung«, log sie. »Wieso fragen Sie?«
    »Sie würden also sagen, dass bei Ihnen alles normal verläuft? Nichts Neues?«
    »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen?«
    »Ihre Ansichten, Ihre, ähm, Weltanschauung hat sich nicht in letzter Zeit in eine radikale Richtung bewegt?«
    »Ich habe dieselben Ansichten wie immer«, erklärte sie gedehnt.
    Er zögerte wieder, bevor er sagte: »Das hatte ich befürchtet. Ich kenne Sie nicht besonders gut, Ashley. Also nehme ich an, dass ich keinen Grund habe, mich über irgendetwas zu wundern. Aber ich muss schon sagen …« Er unterbrach sich mitten im Satz. »Ich möchte es einmal so formulieren: Wissen Sie, in diesem Museum versuchen wir, den Ansichten und Meinungen und, nun ja, der Lebensweise anderer Menschen gegenüber tolerant zu sein. Wir hüten uns vor kritischen Urteilen. Aber es gibt gewisse Grenzen, die gewahrt werden müssen, finden Sie nicht auch?«
    Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, wovon die Rede war, doch sie nickte. »Gewisse Grenzen, ja.«
    Der stellvertretende Direktor sah zugleich traurig und verärgert aus. Er beugte sich vor.
    »Meinen Sie wirklich, es hätte den Holocaust nie gegeben?« Ashley fuhr auf ihrem Stuhl zurück.
    »Was?«
    »Die Ermordung von sechs Millionen Juden sei nur Propaganda und nie wirklich geschehen?«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen …«
    »Sind Schwarze wirklich eine minderwertige Rasse? Submongoloid? Kaum höherstehend als wilde Tiere?«
    Vor lauter Schock blieb ihr die Stimme weg.
    »Und stehen FBI und CIA wirklich unter der Kontrolle von Juden? Und ist die Reinhaltung der Rasse wirklich die größte Herausforderung, der sich unsere Nation heute gegenübersieht?«
    »Ich weiß nicht, was Sie …«
    Er hob die Hand und hatte ein rotes Gesicht. Er deutete auf seinen Computer. »Kommen Sie hier herüber und loggen Sie sich mit Ihrem Benutzernamen und Ihrem Passwort ein«, wies er sie schroff an.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Tun Sie mir einfach den Gefallen«, forderte er kalt.
    Sie stand auf, ging zu seiner Seite herum und tat, was er verlangte. Der Computer erwachte zum Leben, ließ die vertraute kleine Fanfare ertönen, und ein Bild des Museums erfüllte den Monitor, gefolgt von einem Fenster mit »Willkommen, Ashley« und der Nachricht: »Sie haben ungelesene E-Mails.«
    »Bitte«, sagte Ashley. Sie stand auf.
    Der Direktor drängte sich abrupt an ihr vorbei an die Tastatur.
    »Hier«, erklärte er wütend. »Kürzliche Suchergebnisse.«
    Unter ihrem Namen und Passwort tippte er energisch eine Tastenfolge. Das Bild vom Museum verschwand augenblicklich und machte einem schwarzroten Bildschirm Platz. Zu Marschmusik, die aus den Lautsprechern dröhnte, erschien ein großes Hakenkreuz. Auch wenn Ashley das Horst-Wessel-Liednicht kannte, war ihr der Charakter dieser Musik sofort klar. Sie machte staunend den Mund auf und versuchte, etwas zu sagen, doch sie konnte den Blick nicht vom Monitor lassen, auf dem jetzt eine alte Wochenschau in Schwarzweiß erschien, in der eine in Reih und Glied aufgestellte Menschenschar
Sieg Heil!
skandierte. Sie erkannte Leni Riefenstahls
Der Triumph des Willens
. Dies verblasste, und eine Website erschien mit dem Gruß: »Willkommen in der arischen Nation!« Augenblicklich folgte eine zweite Seite, auf der »Willkommen, Sturmbannführerin Ashley Freeman« zu lesen war. »Bitte geben Sie Ihr Passwort ein.«
    »Müssen wir das vertiefen?«, fragte der stellvertretende Direktor.
    »Das ist verrückt«, brachte Ashley hervor. »Das ist nicht von mir. Ich weiß nicht, wie …«
    »Nicht von Ihnen?«
    »Nein, ich weiß nicht wie, aber …«
    Der stellvertretende

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