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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Laterne, und er nahm an, dass die beiden auf dem Weg zu ihrer Wohnung durch den Lichtkegel kommen würden.
    Er hatte sich nicht getäuscht. Er sah, wie das Pärchen um die Ecke kam und einen Moment lang stehenblieb, bevor es eilig weiterlief.
    Sie haben Angst, dachte er. Können nicht sagen, ob sie in Sicherheit sind. Fühlen sich aber schon ein wenig beruhigter.
    Er drückte sich von der Wand ab, beugte die Schultern vor und marschierte forsch schräg über die Straße, um sich ihnen in den Weg zu stellen.
    Sie sahen ihn fast im selben Moment. Das Mädchen keuchte, und der Junge, ganz Gentleman, schob sie ein wenig hinter sich, um O’Connell die Stirn zu bieten. Der Beschützer balltedie Faust und ging wie ein Boxer, der auf das Klingelzeichen wartet, in Stellung.
    »Aus dem Weg!«, forderte der Jüngere mit erhobener, aufgeregter Stimme. Das Mädchen gab einen erstickten Laut von sich.
    »Was wollen Sie?«, herrschte er O’Connell an und hielt die Stellung zwischen der Bedrohung und dem Mädchen.
    O’Connell blieb stehen und sah den Jungen an.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief der Junge.
    »Entspann dich, Kumpel«, meinte O’Connell. »Wo liegt das Problem?«
    »Wieso sind Sie uns gefolgt?« Die Frage kam von dem Mädchen, und ihre Stimme klang vor Panik schrill.
    »Euch gefolgt?«, echote O’Connell. »Was redest du da?« Der Junge hatte die Hände weiter zur Faust geballt, doch er wirkte erstaunt, ja verwirrt.
    »Ihr seid ja übergeschnappt«, erklärte O’Connell. Damit lief er rasch an ihnen vorbei. »Ihr habt sie ja nicht mehr alle«, schickte er hinterher.
    »Lassen Sie uns in Ruhe«, forderte der Junge – nicht sehr überzeugend, wie O’Connell fand. Als er ein halbes Dutzend Schritt an ihnen vorbei war, blieb er stehen und drehte sich um. Wie erwartet, klammerten sie sich immer noch aneinander und starrten ihm in Abwehrstellung hinterher.
    »Ihr zwei habt Glück gehabt«, sagte O’Connell.
    Sie sahen ihn ungläubig an.
    »Wisst ihr, dass ihr heute Nacht um ein Haar gestorben wärt?«
    Ohne ihnen die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, wirbelte er herum und ging, so schnell er konnte, ohne zu rennen, von einem Schatten zum nächsten. Das junge Paar ließ er stehen, und er vermutete, dass sie sich an die Angst, die siein dieser Nacht ausgestanden hatten, um einiges länger erinnern würden als an das Glück, mit dem der Abend begonnen hatte.
     

     
    »Ich glaube, ich muss ein bisschen mehr über Sally und Scott und auch über Hope erfahren«, sagte ich.
    »Nicht über Ashley?«
    »Ashley scheint mir doch noch sehr jung, noch unfertig zu sein.«
    Sie runzelte die Stirn. »Das ist wohl richtig. Aber woher wollen Sie wissen, dass Michael O’Connell sie nicht fertig gemacht hat?«
    Ich wusste auf diese Frage nichts zu erwidern, doch der unterkühlte Ton war mir nicht entgangen. »Sie haben mir verraten, dass jemand stirbt. Sie meinen doch wohl nicht, dass es dabei um Ashley ging …«
    Meine Frage stand eine Weile zwischen uns im Raum, bevor sie endlich antwortete: »Sie war am meisten gefährdet.«
    »Ja«, erwiderte ich, »aber …«
    Sie unterbrach mich. »Und ich nehme an, Sie glauben, O’Connell bereits zu durchschauen?«
    »Nein, nicht wirklich. Noch lange nicht. Aber ich denke an die nächsten Schritte, die ich unternehmen sollte, und dabei musste ich die anderen im Blick behalten.«
    Sie schwieg, während sie mit ihrem Glas Eistee spielte und wieder den Kopf zum Fenster wandte, um hinauszustarren. »Ich denke oft an sie«, sagte sie, »ich kann nicht anders.«
    Sie griff nach einer Schachtel Papiertaschentücher. Ihr standen die Tränen in den Augenwinkeln, doch sie lächelte schwach. Sie atmete einmal langsam tief durch.
    »Haben Sie darüber nachgedacht, wieso Verbrechen so niederschmetternd sein können?«, fragte sie unvermittelt.
    Ich wusste, dass sie die Frage selbst beantworten würde.
    »Weil sie so unerwartet kommen. Weil sie gänzlich außerhalb der Routine unseres Lebens liegen. Wir werden davon überrumpelt. Es betrifft uns ganz unmittelbar, es berührt das Existenzielle.«
    »Ja, das ist sicher richtig.«
    Sie starrte mich an. »Ein Geschichtsprofessor an einem snobistischen liberalen College. Eine Kleinstadtanwältin, die sich auf wenig komplizierte Scheidungen und kleinere Immobilientransaktionen spezialisiert. Eine Schulpsychologin und Fußballtrainerin. Und eine junge Kunststudentin, die in einer Traumwelt lebt. Was hatten sie der

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