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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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habe genug Geld.«
    »Tatsächlich?!«, staunte der Greis. »Wissen Sie, Larissa, nachdem Sie das letzte Mal hier waren und wieder nichts gekauft haben, habe ich mir überlegt, Ihnen in Zukunft zu erlauben, die Bücher hier zu lesen – wie in einer Bibliothek. Im Lager habe ich einige Tische mit Leselampen – wenn Sie also möchten, können Sie jederzeit kommen und alle Bücher studieren, die Sie interessieren. «
    Dieses großzügige Angebot aus dem Mund eines Schatyren grenzte an ein Wunder, doch für Larissa kam es zu spät.
    »Ich werde bezahlen.«
    »Wie Sie wollen.«
    Genbek holte die Bücher, legte sie auf den Ladentisch, mümmelte mit den Lippen und nannte dann leise den Preis. Der Betrag lag etwas über Larissas Fünfjahresstipendium, doch das kümmerte sie nur wenig.
    Nun kam der entscheidende Moment.
    Die junge Frau verdeckte die Augen mit der Hand und kniff sie zusammen, versetzte ihre Nervenzellen in einen Zustand steigender Anspannung, bis der Wirbel entstand, sich im Laden ausbreitete und den alten Mann umhüllte. Nun stellte Larissa sich vor, wie sie in ihre Tasche greift, ein dickes Bündel Geldscheine herausnimmt – kassenfrische unbenutzte Banknoten –, wie sie diese auf den Ladentisch legt und wie die runzelige Hand des Buchhändlers danach greift.
    Genbeks Hand indes tat nichts dergleichen, stattdessen räusperte sich der Greis gekünstelt.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte die junge Frau mit dünner Stimme – sie befand sich immer noch in einem tranceartigen Zustand.
    »Larissa, lesen Sie doch bitte einmal, was hier steht.«
    Ihr Blick fiel auf Genbeks runzelige Hand, deren ausgestreckter Zeigefinger auf das Plastikschildchen am Ladentisch zeigte. Anstelle des Hinweises »Wir akzeptieren Kreditkarten aller Art!« stand dort zu lesen: »Zaubern verboten!«
    Kurz und bündig.
    Larissa war so überrumpelt, dass sie zunächst nicht verstand, worum es überhaupt ging. Mehrmals hintereinander las sie die simple Botschaft und bewegte dabei tonlos die Lippen. Dann sah sie Genbek hilflos an.
    »Was?«
    Das dicke Bündel mit den frisch gedruckten Geldscheinen löste sich in Luft auf, und die Miene des alten Mannes verdüsterte sich.
    »Sie haben gar kein echtes Geld dabei, nicht wahr?«
    Die junge Frau stand völlig neben sich und schüttelte den Kopf.
    »Nein.«
    »Sehr bedauerlich.« Genbek schob die Bücher beiseite, seufzte und sah Larissa mitleidig an. »Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie gerade versucht haben, ein Verbrechen zu begehen?«
    »Ich?«
    Wie hatte das passieren können? Das war ihr einziger Gedanke. So etwas war doch überhaupt nicht möglich! Völlig unfassbar!
    »Das ist wirklich ein starkes Stück«, empörte sich Genbek. »Den Verkäufer mit einem Trugbild täuschen und einfach mitnehmen, was einem gefällt. Das ist Diebstahl, meine Liebe, lupenreiner Diebstahl! Vielleicht sollte ich die Polizei rufen? Wer weiß, wen Sie noch alles bestohlen haben mit dieser Masche? Gar nicht auszudenken! So jung und schon so verdorben! Wo soll das enden, beim Barte des Schlafenden! Zu meiner Zeit hat es einen solchen Sittenverfall nicht gegeben …«
    Endlich wich die Anspannung aus Larissa, und der Wirbel verschwand. Sie sank auf den geschnitzten Hocker hin und fing jämmerlich zu heulen an. Genbek legte die Stirn in Falten, zupfte sich unschlüssig am Ohrläppchen und zog dann ein weißes Taschentuch hervor.
     
     
     
    Bar Depresso
Moskau, Pjatnizkaja-Straße
Samstag, 16. September, 13:59 Uhr
     
     
    Die Söldner fanden Christophan im Depresso , dem freudlosesten Lokal der Verborgenen Stadt. Hierher kamen die Gäste, um Trübsal zu blasen und in Melancholie zu schwelgen. Hier ertränkte man seinen Kummer in Wodka und weinte sich an der Brust des verschlafenen Barkeepers aus. Man trauerte besseren Zeiten nach und verabschiedete sich von Jugendträumen. Mindestens einmal im Leben kam jeder Bewohner der Verborgenen Stadt ins Depresso .
Vergebens ist dein Müh’n und Streben,
das Glück nur Augenwischerei,
du stolperst hoffnungsfroh durchs Leben,
doch Unheil hängt an dir wie Blei.
    Auf der Bühne gab ein Oss jaulend ein Lied zum Besten. Die kleinwüchsigen Rattenfänger hatten einen Hang zur schwermütigen Selbstbetrachtung und kultivierten diese Neigung, indem sie Balladen dichteten, die so düster und endlos waren, wie das unterirdische Labyrinth, in dem sie gewöhnlich hausten. Das Depresso hatten die Ossen schon seit längerem für sich entdeckt. Für eine warme Mahlzeit traten sie hier

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