Das Opfer
linke Augenbraue hoch. Edik war die rechte Hand von Chamberlain, dem Boss der einflussreichsten kriminellen Gruppierung in Moskau. Es hätte einen großen Erfolg bedeutet, ihn dingfest zu machen.
»Du fährst mit Sergej zu dem Treffen?«
Kapitän Sergej Schustow, ein schwergewichtiger Koloss, war Kornilows Stellvertreter.
»Natürlich … obwohl, wenn Sie nichts dagegen hätten, würde ich auch allein …«
»Ich habe aber etwas dagegen.«
Waskin seufzte: »Zu Befehl, Patron. Ich fahre mit Kapitän Schustow.«
»Nach dem Treffen erstattet ihr mir sofort Bericht. Ist das klar, Sergej?«
»Logisch!« Der Kapitän, der an seinem Schreibtisch saß, drehte den Daumen nach oben. »Sobald wir mit ihm gesprochen haben, geben wir dir Bescheid.«
Waskin sah verstohlen auf die Uhr. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Patron, würde ich jetzt nach Hause fahren. «
»Wirklich nach Hause?«, erkundigte sich der Major mit einem schelmischen Grinsen.
»Nun ja …« Der junge Leutnant senkte verlegen den Blick. »In gewissem Sinne schon.«
Waskin war der einzige Junggeselle in der Ermittlungsgruppe und hatte sich damit abgefunden, dass seine Kollegen ihn ständig damit aufzogen.
»Bist du immer noch mit Lusja zusammen?«, fragte Schustow, der sich für das Privatleben seiner Kollegen brennend interessierte und als wandelnde Boulevardzeitung des Präsidiums galt.
»Ja, immer noch.«
»Respekt! Und ihre Eltern sind immer noch auf Zypern? «
»So ist es.«
»Sergej, du sollst Kriminelle verhören und nicht deine Kollegen«, spöttelte Kornilow. »Wladik, dass du mir den Termin mit Pawlow ja nicht verschläfst.«
»Wo denken Sie hin, Patron!«
Als sich die Tür hinter Waskin schloss und Kornilow sich wieder in seine Unterlagen vertiefte, stand Schustow auf, marschierte zum Schreibtisch des Majors und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
Kornilow sah auf: »Hm?«
»Ähm, vor unserem jungen Kollegen wollte ich das Thema nicht anschneiden …«
»Was ist passiert?«
Der beleibte Kapitän setzte sich Kornilow gegenüber und stützte seine mächtigen Ellbogen auf den Tisch.
»Ich habe mich heute mit den Mädels unterhalten. Es braut sich wieder mal ein Super-GAU in der Stadt zusammen. «
Der mitteilsame Schustow pflegte freundschaftliche Beziehungen zu sämtlichen Sekretärinnen des Polizeipräsidiums und besorgte seinem Chef aus diesen wertvollen Quellen stets die neuesten Informationen und Gerüchte.
»Was für ein Super-GAU denn?«
»Sieben Ritualmorde in weniger als drei Tagen.«
»Ein Wahnsinniger?«
»Oder eine ganze Sekte von Wahnsinnigen. Die Morde geschehen in kurzen Abständen und immer an verschiedenen Tatorten.«
Kornilow zog nachdenklich an seiner Zigarette und ließ die Augenlider noch tiefer sinken.
Seine Sonderermittlungsgruppe hatte man vor vier Jahren zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens eingerichtet und damit den Grundstein zu einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte gelegt; der Major brachte es fertig, sämtliche ihm übertragenen Fälle aufzuklären und einen Großteil der Moskauer Mafiabosse hinter Gitter zu bringen. Er galt wohl nicht zu unrecht als bester Polizist des Landes. Die Journalisten rissen sich um Storys über seine Ermittlungserfolge und hatten einen regelrechten Starrummel um ihn entfacht. Nicht zuletzt aufgrund ihrer überdrehten Berichterstattung hatten die Normalbürger den Eindruck, Kornilow sei unfehlbar. Und leider nicht nur die Normalbürger: Der Bürgermeister drängte immer häufiger darauf, dass die Sonderermittlungsgruppe sich mit besonders spektakulären Fällen befasste, bei denen man in der Öffentlichkeit punkten konnte. Dass diese Fälle häufig gar nicht zu Kornilows Aufgabenbereich gehörten, kümmerte das Stadtoberhaupt herzlich wenig. Vor kurzem hatte man Andrej damit beauftragt, dem sogenannten Vivisektor das Handwerk zu legen, einem blutrünstigen Serienmörder, der Moskau in Angst und Schrecken versetzt hatte. Kornilow stoppte den Killer tatsächlich. Wie – das stand auf einem anderen Blatt. Er erinnerte sich nur ungern an diese Geschichte, und General Schwedow, der Leiter des Moskauer Polizeipräsidiums, hatte ihm hoch und heilig versprochen, dass die Sonderermittlungsgruppe in Zukunft nicht mehr mit »profilfremden« Fällen beauftragt werde. Doch Andrej war natürlich klar, dass eine Sekte, die Ritualmorde beging, dem General einen ernsthaften Grund liefern würde, dieses Versprechen zu brechen.
»Und das wollen die uns ans Bein
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