Das Opfer
jeden Fall auf, den du auf den Tisch bekommst«, erwiderte Schwedow augenzwinkernd.
»Das ist mein Job.«
»Dann mach deinen Job.«
Kornilow trank seinen Kaffee aus und stellte die leere Tasse auf den Tisch.
»Ist das eine offizielle Dienstanweisung?«
»Ja. In einer halben Stunde bekommst du die Unterlagen zu dem Fall.«
»Was habt ihr bis jetzt herausgefunden?«
»Wir wissen so gut wie nichts. Die Opfer dieser rätselhaften Morde haben absolut nichts miteinander zu tun. Das jüngste war neunzehn, das älteste einundsechzig Jahre alt. Alle wurden mit einer Stichwunde in der Brust und einem Brandmal auf der Stirn gefunden. Kein Raub, keine Vergewaltigung.«
»Der Typ ist nur an ihrem Tod interessiert«, sagte Kornilow mit Bestimmtheit. »Aus irgendwelchen Gründen. Das ist kein Geisteskranker. Er verfolgt einen konkreten Plan.«
»Was?« Der General sah den Major erstaunt an. »Was hast du gesagt?«
»Es handelt sich um Ritualmorde, Arkadi Lwowitsch. Menschenopfer. Sieht ganz so aus, als würde sich irgendeine Sekte auf einen großen Feiertag vorbereiten.«
»Du hast bereits Nachforschungen angestellt?«, fragte Schwedow perplex. Er wusste durchaus, wozu Kornilow imstande war, doch dass er bereits ermittelte, noch bevor man ihn beauftragte, überraschte ihn dann doch.
Andrej zog sein Feuerzeug aus der Tasche und spielte damit herum.
»In den letzten zwei Wochen sind weltweit zwölf Morde geschehen, die nach demselben Muster abliefen wie unsere. New York, Bangkok, Tokio, Melbourne, London, Los Angeles, Manila, Kairo, Kapstadt, Prag, Buenos Aires und Delhi. Die Beobachtungen am Tatort sind immer dieselben: nackte Leichen mit einer Stichwunde in der Brust, einem Brandmal auf der Stirn und abgehackter linker Hand. Der Fall in New York ist bis ins Detail eine Kopie des Mordes an Maria Tatarkina – der Leichnam wurde am helllichten Tag in einem gut besuchten Restaurant gefunden. Dort allerdings nicht einmal in einem separaten Gastraum. Der Mann muss also vor allen Leuten abgestochen worden sein, nur hingeschaut hat offenbar keiner.«
»Zwölf Morde weltweit?«
»Und bereits sieben in Moskau. Das Zentrum des Spinnennetzes befindet sich hier.«
»Unfassbar!« Schwedow schüttelte den Kopf. »Du musst ihn finden, Andrej! Unbedingt!«
Wohnkomplex Goldener Schlüssel
Moskau, Minskaja-Straße
16. September, 08:06 Uhr
Überall hingen Spiegel – an der Decke, an den Schranktüren und natürlich an den Wänden. Sie umgaben das breite, niedrige Bett von allen Seiten und vervielfachten auf trügerische Weise die Objekte im Raum: die züngelnden Flammen der Kerzen in den goldenen Kandelabern, die schwarzen Seidenlaken, die darauf verstreuten Kissen und das Liebespaar auf seiner Lagerstatt. Jede Bewegung und jede Geste wurden zum Spielball der reflektierenden Scheiben. Wo auch immer die Liebenden hinschauten – sie sahen stets und aus den verschiedensten Blickwinkeln sich selbst. Dieser Umstand verlieh ihrem Treiben eine prickelnde Finesse und fachte ihre ohnehin schwelende Lust zusätzlich an.
Sie saß mit untergeschlagenen Beinen am Rand des Betts und betrachtete ihr Spiegelbild. Der hauchdünne Stoff der weißen Bluse, deren Knöpfe sie bis auf einen geöffnet hatte, spannte sich sanft über die schmalen Schultern, die schlanken Arme und die kleinen, festen Brüste.
Er saß hinter ihr und konnte im Spiegel durch die halbtransparente Seide hindurch die dunklen Höfe ihrer Brustwarzen sehen.
Zärtlich streichelte Bogdan mit den Fingerkuppen über ihren braungebrannten Hals und spürte den Schauer, der die samtige Haut seiner Partnerin durchfuhr. Mit der Rechten umfasste er ihr langes schwarzes Haar, schob es sanft beiseite, beugte sich vor und küsste sie auf den Nacken. Sie zuckte kurz mit den Schultern, und im Spiegel sah er, dass sie die Augen schloss und ihre sinnlichen Lippen sich zu einem Lächeln öffneten.
Zu einem Lächeln voller Verlangen.
Woran sich in jenem Jahr der Konflikt zwischen den Herrscherhäusern entzündet hatte, wusste Bogdan nicht mehr, und es gehörte auch nicht zu den Aufgaben eines Ritters und Kriegskommandeurs, sich über solcherlei Belanglosigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Dem Geheimdienst des Ordens war es gelungen, herauszufinden, wann das Energieniveau des Regenbrunnens – der Magischen Quelle des Herrscherhauses Lud – seinen saisonalen Tiefpunkt erreichte und die grünen Hexen dadurch eine empfindliche Schwächung erlitten. Die Gelegenheit war äußerst günstig.
Weitere Kostenlose Bücher