Das Orakel des Todes
zu warten, bis mein Amtsjahr abgelaufen war. Wenn ich dann nach Rom zurückkehrte, wäre vielleicht schon alles geklärt, und ich könnte mich schön aus allem heraushalten. Beim Mittagessen schnitt ich das Thema gegenüber Julia an, doch ich wünschte sofort, ich hätte den Mund gehalten.
„Was?“ Sie sah mich an, als wäre ich ein verabscheuungswürdiges Reptil. „Du willst dich außerhalb Italias aufhalten, während hier entscheidende Dinge passieren?“
„Es ist ja nicht weit“, wandte ich ein. „Über die Straße von Messina kann man das italische Festland sehen.“
„Es steht dir nicht an, dich derart feige aus der Affäre zu ziehen. Am besten schreibst du Caesar sofort einen Brief und bietest ihm deine Dienste an.“
„Erst einmal muss ich mein Amtsjahr hinter mich bringen.“ Ich gab mir redlich Mühe, entschieden zu klingen. „Du verfügst über das Imperium“, entgegnete sie erbarmungslos. „Und du weißt, was das bedeutet. Falls du es vergessen haben solltest, rufe ich es dir gern wieder in Erinnerung. Es bedeutet, dass du die Befugnis hast, eine Legion auszuheben und zu befehligen. Was willst du tun, wenn der Senat dich anweist, eine Legion zusammenzustellen und gegen Caesar zu marschieren? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“
„Ich habe in den vergangenen Monaten kaum an etwas anderes gedacht, das kannst du mir glauben.“
„Dann ist es Zeit, einen Entschluss zu fassen und zu entscheiden, welchen Weg du gehen willst.“
„Ich habe mich bereits entschieden“, erwiderte ich. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Sicilia ein sehr angenehmer Aufenthaltsort ist. Sobald die Mordfälle hier aufgeklärt sind, ziehen wir weiter nach Sicilia.“
Sie war wütend, doch ausnahmsweise hielt sie den Mund.
Führ ihre Zurückhaltung kamen mehrere Gründe in Frage. Vielleicht hatte sie beschlossen, eine gute patrizische Ehefrau zu sein und sich dem Wunsch ihres Mannes zu beugen. Aber das war eher unwahrscheinlich. Vielleicht wollte sie mich spät abends noch einmal bearbeiten, wenn ich zu müde wäre, mich zur Wehr zu setzen - eine ihrer bevorzugten Taktiken, der sich vermutlich alle Frauen bedienen. Vielleicht hatte sie aber auch ernsthaft nachgedacht und entdeckt, in was für einer gefährlichen Zwickmühle ich steckte. Aber vermutlich hatte sie ihrem Onkel bereits geschrieben, heckte Pläne mit ihm aus und versuchte, mir in seinem Stab einen hohen Posten zu verschaffen. Ich war zwischen Julia und dem Senat und zwischen Pompeius und Caesar hin und her gerissen. Es war, als wären meine Arme und meine Beine an vier Elefanten gefesselt, die mich in alle vier Windrichtungen zerrten.
Da es in der Nähe keine öffentlichen Bäder gab, spazierte am Nachmittag durch die aus dem Boden geschossene Zeltstadt. Inzwischen hatten die Lebensmittelverkäufer, Bauern und Hirten aus der Umgebung ein richtiges kleines Forum errichtet, auf dem Durchreisende ihre Bedürfnisse befriedigen konnten, so dass die Zeltstadt, was die Versorgung betraf, nahezu autark war. Keine hundert Schritte von dem Lager entfernt sorgte ein vorbei fließender Bach für ausreichend Wasser von exzellenter Qualität. Was sie als sanitäre Einrichtungen benutzten, ergründete ich lieber nicht.
Einige der Zelte, Hütten und pfählernen Verschläge beherbergten einzelne Bewohner, in anderen hausten ganze Familien. Das waren diejenigen, die angereist waren, um das Orakel zu befragen. Ich war versucht, sie vor den Antworten des Orakels in Geldangelegenheiten zu warnen, verkniff es mir aber. Schließlich war ich sicher, dass mein Prozess, wenn es denn dazu kommen sollte, den Betrug für alle offensichtlich machen würde. Die größeren und farbenprächtigeren Zelte gehörten fliegenden Händlern und Scharlatanen, die das ganze Jahr auf der Straße lebten, stahlen, was nicht niet- und nagelfest war, und größtenteils vom Verkauf des Diebesguts lebten. In Italia gab es zahllose Sippschaften dieses umherwandernden Volks, denen zwar niemand über den Weg traute, die aber trotzdem eine wichtige Funktion zu erfüllen schienen und deshalb geduldet wurden, wenn auch mit Argwohn.
Ein reisender Messerschmied bediente sich zur Ausstellung seiner Ware einer genialen, frei stehenden Truhe. Sie bestand aus drei großen ausziehbaren Platten, an denen von Sicheln über Hackbeile bis hin zu Dolchen alle nur erdenklichen Waffen hingen. An der Truhe selbst lehnten ein Dutzend oder mehr fein gearbeitete Schwerter, von denen einige in
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