Das Orakel des Todes
meinen veränderten Ausdruck sofort, als wir auf der Terrasse vor unserem Schlafzimmer die unvermeidlichen Kirschen, andere klein geschnittene Früchte, Brot und Honig frühstückten.
„Du siehst so verwandelt aus“, stellte sie fest. „Hattest du heute Nacht Besuch von einem Gott?“
„Ich glaube nicht. Wenn ich solche nächtlichen Eingebungen hatte, wusste ich hinterher ganz genau, welcher Gott oder welche Göttin mir erschienen war, und was er oder sie von mir wollte. Diesmal war es anders. Ich hatte eine Eingebung, in der mir mitgeteilt wurde, dass ich etwas übersehen habe, aber es war kein göttliches Wesen, das sich mit mir in Verbindung gesetzt hat. Vermutlich ist es mein eigener Geist, der die Dinge im Wachzustand nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen kann und nun im Traum versucht, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen.“
„Eine interessante Vorstellung. Und was hat dir deine Eingebung mitgeteilt?“
„Dass die Belüftungsschlitze in der Decke des Tunnels und des Heiligtums der Schlüssel zum Verständnis der Ereignisse sind.“
„Inwiefern?“, hakte sie nach.
„Das weiß ich nicht, aber ich habe die Absicht, der Sache auf den Grund zu gehen.“ Ich schickte jemanden, Hermes zu holen. Er erschien umgehend.
„Hermes, schaff mir diesen Steinmetz her ... wie hieß er noch mal?“
„Ansidius Perna.“
„Genau, den meine ich. Finde ihn, und bring ihn sofort zu mir.“
„Worum geht es denn?“, fragte er.
„Seit wann bin ich dir über mein Vorgehen Rechenschaft schuldig?“, entgegnete ich. „Geh, und tu, was ich dir gesagt habe! „
„Ist ja großartig“, mischte sich Julia ein. „Du benimmst dich wie ein Kind. Warum erzählst du ihm nicht, was du von dem Mann wissen willst?“
„Stellst du dich jetzt auch noch auf die Seite meines Freigelassenen?“
„Mach dich doch nicht lächerlich“, wies sie mich zurecht und fuhr an Hermes gewandt fort: „Er hatte eine Art Eingebung, die etwas mit den Belüftungsschlitzen im Tunnel des Orakels zu tun hat. Du kennst ihn ja: In Zeiten wie diesen ist er nicht ganz zurechnungsfähig.“
So viel zu dem Respekt, den ich in meinem eigenen Haus genoss. Immerhin machte sich Hermes auf die Suche nach dem Steinmetz. Ich kaute an meinem Frühstück und überlegte laut. „Die Luft kommt von irgendwo herein. Aber von wo?“ Julia sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Dann verstärkte ich ihre Zweifel noch. „Und wenn Luft hineinkommt, was kommt dann womöglich noch herein?“
„Was könnte denn deiner Meinung nach durch winzige Belüftungsschlitze in einem massiven Fels kommen?“, fragte sie.
„Geräusche“, erwiderte ich. „Stimmen.“
„Aber in der Kammer des Orakels hast du doch keinen dieser Schlitze gefunden.“ Julias Stimme klang triumphierend.
Dort waren sie nicht erforderlich, wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege“, entgegnete ich. „Ich bin inzwischen ziemlich sicher, wofür sie benutzt wurden. Ich muss nur noch herausfinden, wo sie ihren Ursprung haben.“
Am späten Vormittag kam Hermes mit Perna zurück. „Wie kann ich dem Praetor zu Diensten sein?“, fragte der Steinmetz.
„Du wirst noch einmal mit mir in den Tunnel des Orakels hinabsteigen. Ich habe noch einige Fragen zur Bauweise, und ich möchte, dass du sie mir beantwortest“, sagte ich mit der Bestimmtheit eines römischen Magistrats, die keinen Raum für Einsprüche oder Diskussionen lässt. Er salutierte. „Wie der Praetor wünscht.“
Kurz darauf waren wir unterwegs zu der Tempelanlage Neben Perna und Hermes ritt noch ein gutes Dutzend meiner Männer mit, außerdem meine Liktoren.
„Worum geht es denn?“, fragte Perna.
„Ich möchte von dir alles über das Belüftungssystem wissen, das den Tunnel mit Luft versorgt.“
„Verstehe.“ Natürlich verstand er gar nichts, aber angesichts meiner Stimmung stellte er lieber keine weiteren Fragen.
Rund um den Tempel ging es sehr geschäftig zu. Der improvisierte Markt hatte sich aufgelöst, aber es wimmelte von Bittstellern, die den Rat des Orakels suchten. lola tauchte gerade mit einer Besuchergruppe aus dem Tunnel auf und war überrascht, mich zu sehen. Meine stattliche Entourage beunruhigte sie sichtlich.
„Wie kann ich dem Praetor zu Diensten sein?“, fragte sie und kam zu meinem Pferd. Hinter ihr standen ein paar ihrer Elevinnen, die noch besorgter dreinschauten als sie.
„Ich muss noch einmal in den Tunnel. Es gibt einiges, das ich bei meinem letzten Besuch nicht
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