Das Orakel vom Berge
wäre 1940 statt Bricker ein Demokrat gewählt worden…«
»Nach diesem Abelson«, unterbrach sie Wyndam-Matson. Er sah das Mädchen neben sich an. Herrgott, dachte er, da lesen die mal ein Buch, und dann können sie sich überhaupt nicht mehr davon trennen.
»Seine Theorie ist, daß statt einem Isolationisten wie Bricker 1940 Rexford Tugwell Präsident geworden wäre.« Ihr glattes Gesicht, in dem sich die Verkehrslichter spiegelten, leuchtete vor Erregung; ihre Augen waren groß geworden, und sie gestikulierte beim Reden. »Und er hätte aktiv die Roosevelt’sche Politik, die sich gegen die Nazis richtete, fortgeführt. Demzufolge hätte Deutschland es nicht gewagt, 1941 Japan zu Hilfe zu kommen. Sie hätten ihren Vertrag gebrochen. Verstehst du?« Sie wandte sich ihm zu und packte seine Schulter. »Und so hätten Deutschland und Japan den Krieg verloren!«
Er lachte.
Sie starrte ihn an, suchte etwas in seinem Gesicht – er wußte nicht, was und mußte außerdem auch auf den Verkehr achten – und sagte: »Es ist nicht komisch. Es wäre wirklich so gekommen. Die USA hätten die Japaner schlagen können und…«
»Wie denn?« unterbrach er sie.
»Er führt das alles aus.« Einen Augenblick verstummte sie. »Es ist in Romanform«, sagte sie. »Natürlich, es sind eine Menge fiktiver Stellen drin, ich meine, es muß ja unterhaltsam sein, sonst würden die Leute es nicht lesen. Es hat auch eine Handlung. Es geht da um zwei junge Leute, der Junge ist amerikanischer Soldat. Das Mädchen – nun, jedenfalls Präsident Tugwell ist ein kluger Mann. Er begreift, was die Japaner vorhaben.« Und dann meinte sie erregt: »Man darf schon darüber reden; die Japs haben ja zugelassen, daß es im Pazifischen Gebiet verteilt wird. Ich habe gelesen, daß eine Menge Japs es lesen. Es ist auf den Heimatinseln sehr populär. Man redet viel darüber.«
Wyndam-Matson fragte: »Hör zu, was steht denn über Pearl Harbour drin?«
»Präsident Tugwell ist so klug, daß alle Schiffe auf hoher See sind. Also wird die US-Flotte nicht zerstört.«
»Aha.«
»Also gibt es gar kein Pearl Harbour. Sie greifen an, aber sie erwischen bloß ein paar kleine Boote.«
»Schwer liegt die Heuschrecke . Das ist ein Zitat aus der Bibel.«
»Und Japan wird besiegt, weil es kein Pearl Harbour gibt.«
»Hör zu. Japan hätte in jedem Fall gewonnen. Selbst wenn es kein Pearl Harbour gegeben hätte.«
»Die US-Flotte – in diesem Buch – hindert sie daran, die Philippinen und Australien einzunehmen.«
»Die hätten trotzdem gewonnen; ihre Flotte war überlegen. Ich kenne die Japaner ziemlich gut. Es war ihnen einfach bestimmt, die herrschende Macht im Pazifik zu werden. Die USA waren seit dem ersten Weltkrieg auf dem absteigenden Ast. Jedes Land auf der Seite der Alliierten wurde in einem Krieg ruiniert, moralisch und geistig.«
Aber das Mädchen ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Und wenn die Deutschen Malta nicht eingenommen hätten, wäre Churchill an der Macht geblieben und hätte England zum Sieg geführt.«
»Wie denn? Und wo?«
»In Nordafrika – Churchill hätte Rommel am Ende besiegt.«
Wyndam-Matson schüttelte bloß stumm den Kopf.
»Und nachdem die Briten Rommel besiegt hatten, konnten sie ihre ganze Armee zurückholen und durch die Türkei marschieren und sich den Überresten der russischen Armeen anschließen und eine Verteidigungslinie aufbauen. In dem Buch halten sie den Vormarsch der Deutschen nach Osten in Rußland bei irgendeiner Stadt an der Wolga auf. Wir haben nie von dieser Stadt gehört, aber sie existiert wirklich. Ich habe im Atlas nachgesehen.«
»Wie heißt sie denn?«
»Stalingrad. Dort wenden die Briten das Geschick des Krieges. In dem Buch konnte Rommel sich nie mit den anderen deutschen Armeen vereinen, die aus Rußland herunterkamen, den Armeen des Generals von Paulus, erinnerst du dich? Und die Deutschen hätten nie in den mittleren Osten eindringen und sich dort das Öl beschaffen können, das sie brauchten. Oder nach Indien, wie sie es taten, wo sie sich dann mit den Japanern vereinten. Und…«
»Keine Strategie auf der ganzen Welt hätte Erwin Rommel besiegen können«, sagte Wyndam-Matson. »Und nichts, was sich dieser Bursche erträumt hat, auch diese Stadt in Rußland nicht, die er so heroisch Stalingrad nennt, hätte mehr erreichen können, als das Kriegsergebnis etwas zu verzögern. Ändern hätte man es nicht können. Hör zu, ich habe Rommel persönlich kennengelernt. In New York,
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