Das Orakel von Antara
und sagte dann:
„Du solltest rasch nach Hause gehen, Soldat! Leg dich ins Bett, sonst hast du deinen Rausch bis zum Dienstbeginn noch nicht ausgeschlafen! Du weißt, welche Strafe auf Trunkenheit im Dienst steht!“
Reven war vor Schreck wie erstarrt. Was sollte er antworten? Der Mann würde an seiner Sprache sofort merken, dass er Antare war. Aber ein Antare in der Uniform eines Wachsoldaten? So schwieg Reven und nickte nur zustimmend mit gesenktem Kopf. Da rief zu seiner Erleichterung der andere Soldat: „Komm, lass’ doch den armen Kerl in Ruhe! Wir sind ohnehin spät dran, und du weißt hoffentlich, welche Strafe auf Unpünktlichkeit im Dienst steht.“
„Ja, ja, du hast recht!“ lachte der erste. „Ich komme ja schon. Schlaf wohl, mein Freund!“ rief er dann dem immer noch wie angewurzelt stehenden Reven über die Schulter zu. Dann verschwanden die beiden im Torgang.
„Uff, das war knapp!“ keuchte Reven leise. „Ich dachte schon, jetzt sei alles aus.“
„Ja, das war schrecklich!“ gab Sabrete leise zurück. „Ich konnte dir nicht helfen, denn die antarischen Sklavinnen dürfen in Gegenwart von Moradonen nur sprechen, wenn sie etwas gefragt werden. Komm schnell weiter, damit wir nicht noch einmal so etwas erleben!“
Reven eilte davon, so schnell er konnte. Als sie die Treppe hinaufstiegen, musste er sich am Geländer festhalten, denn ihm wurde schwarz vor Augen. Besorgt tastete Sabrete nach seinem Arm.
„Um der Götter willen, Reven, du darfst jetzt nicht schwach werden! Es ist nicht mehr weit bis zum Ausgang. Aber wir müssen noch an den Torwachen vorbei, und da kann ich dich nicht stützen.“
Reven riss sich zusammen. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte er den Kopf, um die Nebel vor seinen Augen zu vertreiben. Dann ging er weiter.
„Nach rechts, die Galerie hinunter!“ raunte Sabrete von hinten. „Dann wieder links durch die breite Tür und die Treppe hinunter. Quer über den Platz zum Portal. Grüße, wenn du an den Wachen vorbeigehst. Und sage: Dienst des Königs! Das ist heute Nacht das Losungswort.“
Reven folgte dem angegebenen Weg. Immer wieder legten sich Schleier vor seine Augen, und er spürte, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Doch mit zusammengebissenen Zähnen schleppte er sich vorwärts. Sabrete hatte ihr Tuch tief ins Gesicht gezogen und folgte ihm, jeden seiner Schritte mit wachsender Sorge beobachtend. Dann überquerten sie den Platz. Einige Moradonen mit ein paar antarischen Sklaven kamen ihnen mit Fackeln entgegen, doch sie beachteten die beiden nicht. Nur die Antaren verneigten sich im Vorübergehen.
Fast hätte Sabrete vergessen, dass auch sie sich ihrer Rolle gemäß vor den Moradonen zu verneigen hatte. Im letzten Augenblick beugte sie daher den Kopf, doch die Moradonen schauten nicht einmal zu ihr hin. Antarische Sklaven übersah man, wenn man sie nicht brauchte. Im Durchgang des großen Portals standen zwei Wachen. Reven nahm all seine Kraft zusammen und versuchte, aufrecht zwischen ihnen hindurch zu schreiten. Als er die Männer passierte, machte er wieder die Grußbewegung und sagte:
„Dienst des Königs!“ Auch die beiden Wachen grüßten, und einer der Männer sagte: „Kann passieren!“
Dann standen sie auf der breiten Straße, die vom Palasthügel in die Stadt hinunter führte. Nach wenigen Schritten jedoch begann Reven zu taumeln. Die große Anspannung war vorbei, und nun fingen seine Knie an zu zittern.
„Weiter, weiter!“ flehte Sabrete hinter ihm. „Man kann uns noch vom Portal aus sehen. Du musst es noch bis zur Biegung der Straße schaffen. Dort, wo die Büsche sind, kannst du dich ein wenig ausruhen.“
Mit schwankenden Schritten taumelte Reven weiter. Zum Glück war niemand auf der Straße, und Sabrete sprang zu, um ihn zu stützen. Mit letzter Anstrengung erreichte Reven das Gebüsch. Als die schützenden Büsche hinter ihnen zusammenschlugen, brach er in die Knie und fiel bewusstlos vornüber.
„Reven! Reven, wach doch auf!“ Sabrete kniete neben ihm und rüttelte verzweifelt an seiner Schulter. Tränen der Angst und Hilflosigkeit rannen aus ihren Augen. War er vielleicht sogar tot? Mit fliegenden Fingern tastete sie nach seinem Puls. Er lebte! Aber was sollte sie nun tun? Er konnte nicht hier liegenbleiben. Wenn man seine Flucht entdeckte und es hell wurde, bot das Gebüsch keinen Schutz mehr. Und er brauchte jemanden, der sich um seine
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