Das Orakel von Antara
sie auch in allem anderen getäuscht? War sie in Wirklichkeit doch keine halbe Antarin? Und - liebte er sie vielleicht gar nicht - sondern hatte er sie nur dazu bewogen, mit ihm zu fliehen, weil er sie als Geisel benutzen wollte, um sein Volk freizupressen?
Sabrete fror plötzlich. Sie erkannte, dass es für sie kein Zurück mehr gab, selbst wenn es so war. Sie konnte nicht mehr in den Palast zurückkehren, denn ihr Vater würde ihr nie verzeihen, dass sie seinen größten Feind befreit hatte. Ja, vielleicht würde er sie in seiner Wut sogar töten. Und wenn er wirklich feststellen musste, dass das Heiligtum zerstört war, würde er unter den antarischen Sklaven ein Blutbad anrichten lassen. Das durfte nicht sein! Sie musste sich diesem Yorn von Niveda in die Hände liefern, damit er ein Druckmittel gegen den Vater hatte. Ließ er die Antaren friedlich ziehen, konnte sich alles zum Guten wenden. Denn ohne die Zauberkraft des Herzens konnte er die gewaltige Menge der Sklaven nicht mehr unter seiner Gewalt halten. Viele Moradonen würden im Kampf um die alten Zustände ebenso ihr Leben verlieren wie die Antaren.
Nein, sie konnte Reven für seinen Betrug nicht einmal böse sein. Sie hätte an seiner Stelle genauso gehandelt. Alle diese Gedanken waren ihr blitzschnell durch den Kopf gefahren. Und in Sekundenschnelle hatte sie ihre Entscheidung getroffen. Sie würde Reven trot zdem retten und mit ihm gehen, auch wenn er sie nicht liebte.
Mit Schmerz und Bitterkeit wurde ihr klar, dass zumindest sie ihn liebte, auch wenn er sie nur als Werkzeug benutzt hatte. Darum sagte sie nun zu Nevian:
„Ich weiß es nicht, Nevian, und ich glaube, keiner im Schloss weiß es - nicht einmal der König! Denn man nahm an, dass man die Eindringlinge vor der Tat fing, da der Wächter im Turm ruhig blieb. Aber das ist jetzt im Moment zweitrangig. Hilfst du mir, den Mann zu retten?“
„Selbstverständlich!“ antwortete Nevian sofort. „Aber es muss überlegt sein, wie. Ich kann jetzt nicht so einfach mitkommen, ohne zu wissen, wo ich mit ihm hin soll. Wohin wolltet ihr denn?“
„Zum Viertel Streithügel, in ein Gasthaus, das einem gewissen Schorangar gehört“, erklärte Sabrete. „Doch ich weiß nicht, wo das ist.“
„Aber ich weiß es“, sagte Nevian. „Ich kenne auch Schorangar. Aber das ist zu weit für den Augenblick. Ich wüßte nicht, wie ich den Mann jetzt dort hinschaffen könnte. Wäre er in Ordnung und könnte laufen, wäre es kein Problem.“
„Ich wäre nicht hier, wenn er das könnte, nicht wahr?“ sagte Sabrete mit leisem Spott. „Also lass’ dir etwas einfallen!“ Die Sprache der befehlsgewohnten Prinzessin war bei ihr wieder durchgebrochen.
„He, Mädchen, wie redest du mit mir?“ fragte da Nevian auch schon gekränkt. „Ich bin zwar Sklave, aber nicht der deine! Wenn ich helfe, tue ich das aus freien Stücken, weil dieser Mann sein Leben für uns wagte und weil er die einzige Hoffnung der Antaren auf die Freiheit ist. Denn es ist nicht ungefährlich, was ich vorhabe.“
„Verzeih!“ antwortete Sabrete schuldbewusst. Wenn sie nicht Misstrauen wecken wollte, musste sie sich genauso verstellen wie Reven. Denn Nevian würde ihr wohl kaum helfen, wenn er wüßte, wer sie war.
„Schon gut!“ beschwichtigte Nevian. „Ich kann ja verstehen, dass du in Sorge bist. Aber ich habe auch schon einen Plan. Der Mann hier am Tor ist mein Freund und ein treuer Antare. Er wird uns helfen, diesen Yorn hierher zu schaffen. Wir werden ihn im Gerätehaus des Gartens verstecken, in das nur ich hineingehe. Dort ist er sicher, bis er wieder auf den Beinen ist. Komm, ich werde mit meinem Freund reden!“
Sabrete folgte Nevian zurück zum Tor, wo dieser seinem Freund alles erklärte. Der Mann blickte nachdenklich zum Haus hinüber.
„Gut, ich will es wagen und meinen Posten für eine Weile verlassen“, sagte er. „Noch schläft alles, und es wird wohl keiner etwas bemerken. Aber wir müssen uns beeilen. Es wird bald hell.“
Die beiden Männer rannten hinter Sabrete her zu der Stelle zurück, wo sie Reven verlassen hatte. Er lag noch genauso, wie sie ihn hingelegt hatte. Er war nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Nevians Freund war ein großer, kräftiger Mann. Ohne viel Federlesens hob er Reven hoch und lud ihn sich auf die Schulter.
„Das geht schneller, als wenn wir ihn zu zweit tragen“, meinte er. „Geht schon vor und schaut, ob die Luft rein ist.
Weitere Kostenlose Bücher