Das Orakel von Antara
zog ihn sofort zurück. Ein kurzes Zucken, dann lag der Mann still. Yorn hatte gut getroffen.
Das Schnarchen des anderen ging unvermindert weiter. Yorn überlegte. Über den Körper des Toten hinweg konnte er nicht reichen, denn dann wäre ein Stich zu unsicher gewesen. Er hätte sich erheben müssen, um von der anderen Seite an den zweiten heranzukommen. Das erschien ihm aber zu unsicher, denn das unvermeidbare Geräusch dabei konnte den Schläfer wecken. So rollte er sich kurzerhand auf den Toten. Dabei blieb er mit dem Wams an den Schnallen der Uniform hängen. Vorsichtig versuchte er, den Stoff zu lösen, dabei entglitt ihm jedoch der Dolch. Yorn fluchte innerlich über seine Ungeschicklichkeit. Wenn der Mann jetzt aufwachte, war höchste Gefahr.
Hastig riss er sein Wams von der Schnalle los und tastete nach dem Dolch. Doch ehe er ihn im Stroh gefunden hatte, erwachte der Schläfer.
„Was ist los?“ fragte er schlaftrunken. „Was wälzt du dich hier herum, als ob dich tausend Flöhe beißen?“ Er richtete sich auf. „Kannst du nicht endlich ruhig ...“
Mit einem Satz warf Yorn sich auf ihn. Seine Finger umklammerten den Hals des Überraschten und drückten seine Kehle zu, so dass er nicht schreien konnte.
Doch der Mann war sehr stark, und die Todesangst verdoppelte seine Kräfte. Ein zähes Ringen begann. Aber auch für Yorn stand das Leben auf dem Spiel - und mehr als das! Zwar musste er den Hals seines Gegners fahren lassen, doch der Mann war so überrascht von dem Angriff seines Kameraden - wie er meinte -, dass er nicht daran dachte zu schreien.
Für Yorn jedoch zahlten sich die langjährigen Übungsstunden mit Kandon aus. Schon ha tte er seinen Gegner wieder gefaßt, und nun schlossen sich seine Hände wie eiserne Klammern um den Hals des Moradonen. In den Nachbarboxen wurden die Pferde unruhig und begannen zu stampfen. Der Kampflärm und der Geruch des frischen Blutes hatte sie aufgeschreckt. Der Moradone wehrte sich wie ein Besessener. Ineinander verkrallt rollten die beiden Männer durch die Box. Immer wieder krachten ihre Körper gegen die hölzernen Wandungen. Doch dann spürte Yorn, wie der Widerstand seines Gegners nachließ. Nochmals drückten seine Hände mit aller Kraft, und dann lag der Körper des Moradonen schlaff unter ihm.
Zitternd und keuchend rollte Yorn sich zur Seite. Ein Schauder überlief ihn, als ihm b ewußt wurde, dass er soeben zwei ahnungslose Menschen ermordet hatte. Doch dann stieg das Gesicht des toten Knaben vor ihm auf, und er dachte an die Elendsgestalten in den Kerkern des Schlosses. Wann hatten Moradonen je Mitleid gezeigt? Entschlossen sprang er auf. Er hatte keine Zeit, seine Gedanken an tote Feinde zu verschwenden. Zum Glück waren diese beiden hier im Stall die einzigen gewesen, denn der Tumult hätte unweigerlich jede weitere Wache geweckt.
Yorn hastete aus der Box. Zum Glück war der Mond aufgegangen. Yorn erkannte im fa hlen Licht, das durch die Fenster fiel, an der gegenüberliegenden Wand des Stalls aufgereihte Sättel und Zaumzeug. Rasch trug er einen der Sättel in die nächste Pferdebox und begann, das darinstehende Pferd aufzuzäumen. Das schlaftrunkene Tier ließ sich die Prozedur nur widerwillig gefallen, aber Yorn hatte keine Zeit, auch noch nach einem geduldigeren Ausschau zu halten. Er hoffte nur, dass er halbwegs gute Tiere erwischte. Doch er ging davon aus, dass man hier im Stall nur die hochwertigen Pferde unterbrachte.
Obwohl das moradonische Sattelzeug etwas anders war als der Antaren, saß bei Yorn doch jeder Handgriff. In wenigen Minuten hatte er auch das Pferd in der Nachbarbox gesa ttelt und führt nun die Tiere auf den Gang hinaus. Dabei wurde ihm siedend heiß klar, dass das laute Hufgeräusch draußen auf dem Boden wohl das ganze Gestüt auf die Beine bringen würde. Eine Verfolgungsjagd aber war das Letzte, was er gebrauchen konnte, da er ja noch zu Vanea zurück musste.
Da kam ihm eine Idee. Er hatte auf dem Boden bei den Sätteln einen Haufen alter Lappen liegen sehen, die wohl zum Putzen der Beschläge und zum Fetten des Riemenzeugs benutzt wurden. Rasch holte er einige davon und band sie den Pferden um die Hufe. Als er die Tiere nun zur Stalltür führte, war er erstaunt, wie sehr sein kleiner Trick das Hufgeräusch dämpfte. Rings um die Gebäude war der Boden aufgeweicht vom Regen, so dass dort der Hufschlag wohl noch leiser sein würde.
An der Tür nahm Yorn sein Schwert auf und öffnete dann vorsichtig die
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