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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Galen
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sich seiner Brust. Dann hob er den Leichnam des Knaben dem Himmel entgegen.
     
    „Saadh, sieh!“ rief er mit bebender Stimme. „So wird dein Volk geschlachtet! Wie lange noch, Herr, soll dieser Wahnsinn dauern? Wie viel antarisches Blut soll noch den Boden dieses verfluchten Landes tränken? Mach ein Ende, Herr!“
     
    Vanea trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter. „Wir werden es schaffen, Yorn. Du wirst es schaffen!“ sagte sie leise. Yorn drehte sich zu ihr herum und hielt ihr das Kind entgegen.
     
    „Aber er“, sagte er bedrückt, „er wird es nicht mehr erleben. Für dieses Kind wird es keine Freiheit mehr geben. Für ihn bin ich zu spät gekommen. Für wie viele noch?“
    Er wandte sich ab, bettete das Kind sanft auf den Boden und sank daneben aufs Knie. „Und ich kann ihn noch nicht einmal begraben!“ sagte er gepresst. „Alle hier muss ich liegenlassen, den Wölfen zum Fraß! Denn ich habe keine Zeit, nicht einmal Zeit, sie zu betrauern.“
    Als er sich wieder erhob, war sein Gesicht hart und ein wildes Feuer brannte in seinen A ugen. „Ich muss weiter!“ sagte er. „Hier werden wir keine Pferde mehr finden. Also muss ich sie stehlen. Und wehe dem, der mich daran hindern will!“ Er nahm sein Bündel und schulterte es. Vanea ergriff ihn am Arm.
     
    „Yorn! Yorn, so höre doch!“ beschwor sie ihn. „Es hat keinen Sinn, jetzt weiterzugehen. Sieh, es wird gleich dunkel. Schorangar sagt, dass man bis zum Gestüt der Moradonen einen halben Tag läuft. Wie willst du in der Nacht die Richtung finden? Wir werden uns verirren und mehr Zeit verlieren, als wenn wir bis zum Sonnenaufgang warten.“
     
    „Vanea, ich habe keine Zeit, bis zum Morgen zu warten“, sagte Yorn hart. „Jede Stunde, die ich vergeude, kann uns mehr Blut kosten. Sieh, dort hinten in der Wiese steht eine Scheune, die unversehrt ist. Dort kannst du über Nacht bleiben. Ich lasse dir die Vorräte hier. Die Moradonen werden nicht zurückkehren, denn hier haben sie ihr grausiges Werk getan. Es wird diese Nacht wohl aufklaren, dann werden mir die Sterne den Weg weisen. Ich hole Pferde und komme dann wieder zurück.
    Bin ich bis zum Abend jedoch nicht wieder bei dir, musst du versuchen, allein zu Schorangar zurückzukehren. Dann muss Reven vollenden, was er mit mir begann. Er trägt wie ich die Königsnarben - und er ist mein Bruder! Die Antaren werden ihn anerkennen. Und vielleicht gelingt es ihm, mit Sabretes Hilfe alles zum Guten zu wenden. Auch Nith wird sein Versprechen halten, dass du im Volk der Antaren stets hoch geachtet sein wirst.“
     
    Er riss sie in die Arme und küsste sie wild. Dann ließ er sie genauso plötzlich los, drehte sich um und stürmte davon. Reglos, mit hängenden Schultern sah Vanea ihm nach, während Tränen ihre Wangen hinabliefen. Würde sie ihn je wiedersehen? Aber sie wusste genau, dass sie ihn nicht hätte zurückhalten können. Er musste seinen Weg gehen, mit ihr oder ohne sie. Dann wandte sie sich ab und schritt durch die Wiese auf die Scheune zu.
     
     

Sechzehntes Kapitel
     
     
    Yorn ging nach Osten. Obwohl er den ganzen Tag gelaufen war, wurde sein Schritt nicht langsamer - ja, jetzt, wo er auf Vanea keine Rücksicht mehr nehmen musste, steigerte er sein Tempo sogar noch.
    Stunde um Stunde eilte er dahin, rastlos getrieben von der Furcht, mit verrinnender Zeit antarisches Blut verrinnen zu sehen. Es hatte tatsächlich aufgeklart, und Yorn suchte seinen Weg nach den Sternen, wie er es schon als Knabe bei seinem Vater Loran gelernt hatte. Es mochte um Mitternacht sein, als er auf den Fluss stieß, den Schorangar erwähnt hatte. An seinem Ufer musste das moradonische Gestüt liegen. Vorsichtig folgte Yorn dem Ufer flussaufwärts. Das dichte Gesträuch gab ihm zwar in der klaren Nacht gute Deckung, war aber seinem Fortkommen oftmals hinderlich. Auf einmal senkte sich die hohe Böschung und lief in sanftem Gefälle zu einem glatten Uferstreifen aus, der mit kiesigem Sand eingefaßt war. Yorn merkte, dass hier der Boden uneben und aufgewühlt war. Das musste die Stelle sein, wo die Pferde an den Fluss zur Tränke geführt wurden.
    Und wirklich sah Yorn in einiger Entfernung vom Fluss eine Anzahl weitläufig angeordneter, flacher Bauten, die sich schemenhaft aus der Dunkelheit erhoben. Kein Lichtschein drang zu ihm herüber. Es sah aus, als läge dort alles in tiefem Schlaf. Aber Yorn war auf der Hut. Er war gewiss, dass um das Anwesen herum zahlreiche Wachen aufgestellt waren, denn

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