Das Orakel von Antara
löste und dann den Fuß in den Steigbügel setzte, wich das Tier schnaubend zur Seite. Yorn drängte den Hengst an die Scheunenwand und versuchte es erneut. Da begann das Pferd auszuschlagen und versuchte, nach Yorn zu beißen.
„Alle Dämonen!“ fluchte Yorn. „Dieses Tier scheint nur von einem einzigen Reiter geritten worden zu sein und läßt keinen anderen aufsitzen. Auch das noch! Warum musste ich ausgerechnet an dieses Biest geraten?“
„Warte mal!“ sagte Vanea und sprang von ihrem Pferd. „Lass’ mich versuchen, es zu beruhigen. Du weißt, dass alle Tiere unter meiner Hand sanft werden.“
Vanea wollte zu dem Rappen, doch Yorn ergriff sie beim Arm. „Versuch es lieber gar nicht erst“, meinte er und sah sie mitleidig an. „Hast du vergessen, was geschehen ist? Die Königin des Nebelreiches gibt es nicht mehr.“
Vanea senkte den Kopf. Doch dann schaute sie Yorn fest an. „Lass‘ es mich wenigstens versuchen“, sagte sie. „Vielleicht ist doch noch ein winziger Rest meiner Kräfte verblieben, denn ich spürte in dieser Nacht, dass du in Gefahr warst. Und ich wusste genau, wann du ihr entronnen warst. Und das stimmt genau mit dem überein, was du mir erzählt hast. Und außerdem“, schloss sie, „gibt es ja auch Menschen, bei denen alle Tiere sanft werden. Bitte, lass‘ es mich versuchen!“
Zögernd trat Yorn zur Seite, denn er befürchtete, dass der Rappe Vanea verletzen könnte. Doch sie nahm ihm die Zügel aus der Hand und begann das Pferd zu streicheln. Zuerst schnaubte es beunruhigt und warf den Kopf. Doch unter der sanften Hand, die liebkosend über seine Nüstern fuhr, wurde es ruhig. Leise Worte murmelnd streichelte Vanea seinen Hals und kraulte ihm die Mähne.
Da senkte der große Rappe den Kopf, und sein weiches Maul tastete mit zarter Berührung über Vaneas Wange. Verwundert und hing erissen schaute Yorn dem Schauspiel zu.
„Steig auf!“ sagte Vanea leise. „Ich werde ihn halten. Du wirst sehen, er wird gehen wie ein Lamm.“
Zweifelnd trat Yorn zu dem Pferd, das nun völlig ruhig stand. Als er denn Fuß erneut in den Steigbügel hob, schnaubte das Tier leicht und trat unruhig von einem Huf auf den anderen, doch es wich nicht zur Seite. Mit einem Schwung saß Yorn im Sattel.
Erschreckt wieherte der Rappe auf und machte eine kleine Volte. Doch unter Vaneas le isem Zuspruch und ihrem beruhigenden Streicheln stand er bald wieder still. Als Yorn ihn nun mit leisem Schenkeldruck antrieb, gehorchte er willig und setzte sich so schnell in Trab, dass Vanea kaum Zeit fand, dass andere Pferd zu besteigen. Als sie ihn einholte, rief sie ihm zu:
„Nun, was sagst du jetzt? Glaubst du immer noch nicht, dass ich besser mit Tieren umgehen kann als du?“ In ihrer Stimme schwang ein kleiner Triumph und eine gewisse Erleichterung mit.
„Verzeih! Ich werde nie wieder versuchen, dich von etwas abzubringen, was du dir in den Kopf gesetzt hast“, lachte Yorn. Dann wurde er wieder ernst. „Aber nun lass’ uns eilen! Ich fürchte immer noch, dass wir verfolgt werden könnten. Ich werde erst wieder ruhiger sein, wenn es uns gelungen ist, unsere Spur zu verwischen.“
Er gab dem Rappen die Zügel frei, und das große Pferd sprang im gestreckten Galopp davon. Vanea folgte mit gleicher Geschwindigkeit. Yorn lenkte sein Pferd direkt nach Norden. Schorangar hatte gesagt, dass sie dem Flusslauf folgen müssten, um auf Nith und das Heer zu stoßen. Daher mussten sie versuchen, wieder an den Fluss zu kommen. Da er von Nordwesten nach Südosten floss, würden sie so auf jeden Fall wieder an sein Ufer gelangen. Der für die Feinde unerklärliche Richtungswechsel mochte zur Irreführung der Moradonen beitragen.
Bis zum Mittag ritten Yorn und Vanea fast ständig Galopp, nur hier und da in Schritt ve rfallend, um die Pferde nicht zu überanstrengen. Doch bald erwies sich, dass Yorn wirklich ausgezeichnete Pferde gewählt hatte, denn sie zeigten trotz des Gewaltritts kaum Zeichen von Erschöpfung.
Während des Vormittags hatte es zu Yorns Erleichterung dann doch einen heftigen Regenguss gegeben. Dieser Platzregen hatte alle Spuren getilgt. Daher gab er bereitwillig nach, als Vanea eine Pause vorschlug. Sie gab vor, vom Reiten erschöpft zu sein, um ihn dazu zu bringen, wenigstens auch eine Stunde zu schlafen, während sie und die Pferde sich ausruhten.
Wirklich schlief Yorn auch fast sofort ein, als er sich erst einmal in seine Decke gewickelt hatte.
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