Das Orakel von Antara
hatten die Niveder in einer trockenen Höhle ein Vorratslager angelegt, in dem auch die Waffenkammer untergebracht war. Dorthin führte Nith sie nun, und bald saßen sie zusammen und der alte Priester berichtete, was er von den Geschehnissen wusste.
„Ich war nicht hier, als es geschah“, begann er. „Ich war hinauf auf den Berg geritten, um in der Einsamkeit dem Gott zu opfern und um eine glückliche Heimkehr für euch zu bitten. Alles im Dorf lag im tiefen Schlaf, nur die Wächter waren auf ihren Posten. Doch heimtückische Pfeile, aus dem Hinterhalt entsandt, ließen die Blicke der wachsamen Augen brechen. Ich fand die toten Wächter am nächsten Morgen. Wie die Feinde ihren Standort erfahren hatten, ob durch Verrat, ob durch Zufall - ich weiß es nicht! Doch so konnten sie das friedlich schlafende Dorf ungesehen erreichen. Die Übermacht war groß. Ich sah es vom Felsen aus, als der Kampflärm und der Schein der Brände mich aus meinem Gebet schreckten. An Gegenwehr war kaum zu denken. Trotzdem erschlugen unsere Männer fünfzehn Moradonen. Die Feinde töteten außer den vier Wächtern nur noch drei der Unseren, denn durch ihre Übermacht wurden die Männer schnell überwältigt. Diesmal jedoch gab keiner der Niveder sich selbst den Tod, denn als ihr aufgebrochen wart, verbot ich diesen Brauch. Wenn unser Plan nämlich gelingt, sind uns die Brüder lebend selbst in der Sklaverei noch gute Helfer. Doch wären sie erst tot, würden sie niemals erfahren, ob Saadh uns gnädig ist.
So wurde das ganze Dorf von den Moradonen im Morgengrauen in Ketten davongeführt. Selbst die Alten nahm man mit und sogar unsere Toten. Nicht einer ist entkommen! Ich b efürchte, die Kunde über die Rückkehr von Waskors Sohn ist bis zu den Moradonen gedrungen. Darum hat ihr König wohl befohlen, ihm jeden Niveder zu bringen, dessen man habhaft werden kann. Vielleicht hofft er so, der Bedrohung zu entgehen. Denn findet er den Sohn des Hochkönigs, wird er ihn töten. Er kennt die Prophezeiung und weiß, dass mit dem Tod des Erben die Hoffnung der Antaren erlischt.
Also denke stets daran, Yorn: Du darfst nicht in die Hände der Feinde fallen! Der König wird wissen, woran man dich erkennt. “
Nun erzählten die Freunde Nith von ihren Abenteuern im Nebelreich. Der Blick des alten Priesters flog während ihres Berichts immer wieder in dankbarer Bewunderung zu Vanea hinüber. Als Yorn dann von seinem unglücklichen Sturz berichtete, trat ein seltsamer Ausdruck in Niths Augen.
„Wäre dieser Unfall nicht gewesen“, schloss Yorn, „wären wir drei Tage eher hier gewesen. Vielleicht hätten wir den Überfall dann vereiteln können. Bei Saadh! Warum musste ich auch fehltreten?“
„Weil der Gott es so lenkte!“ sagte Nith weise. „Sonst wäret auch ihr in die Hände der Feinde gefallen. Glaube mir, auch ihr hättet den Einfall der Moradonen nicht verhindern können. Eure Gefangennahme aber hätte das Unglück vollständig gemacht. So bleibt uns aber die Hoffnung, dass mit der Befreiung unseres Volkes auch die Menschen unseres Stammes gerettet werden können. Aber nun drängt die Zeit noch mehr, denn wenn man in Blooria feststellt, dass Waskors Sohn nicht unter den Gefangenen ist, wird sich die Wachsamkeit des Königs verstärken und die Gefahr, dass man euch aufgreift, wächst ständig. Darum müsst ihr Blooria erreichen, bevor die Gefangenen dort ankommen. Gönnt euch einen Tag Ruhe, doch dann brecht wieder auf, damit ihr den Zug der Moradonen überholen könnt. Nur so habt ihr eine Chance, unerkannt in die Stadt zu gelangen.“
„Aber was wird aus Vanea?“ fragte Yorn. „Ich hatte gehofft, sie hier unter dem Schutz unseres Stammes zurücklassen zu können. Was soll nun aus ihr werden? Kann sie bei dir bleiben, Nith?“
„Ihr werdet Vanea mit euch nehmen“, entschied Nith. „Bei euch ist sie sicherer als bei mir, denn auch ich werde nicht hierbleiben. Ich werde mich zu den Lidonen aufmachen, die im Südosten von hier leben. Ich habe nach eurem Aufbruch Boten zu allen der sechs anderen Stämme gesandt, damit sie sich im Gebiet der Lidonen an Moradons Grenze sammeln. Doch ich bin nicht sicher, dass alle meinem Ruf folgen werden. Kehrst du zurück und dein Auftrag ist erfüllt, so brauchst du sie, um gegen die Moradonen zum letzten Schlag auszuholen. Doch mein Weg dorthin wird nicht weniger gefährlich sein als der eure, denn auch ich kann leicht in die Hände der Feinde fallen. Ich bin kein Krieger
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