Das Orakel von Antara
Lebenszeichen.
Stumm starrten die vier Gefährten auf die rauchenden Trümmer. Yorn war der erste, der sich rührte. Mit hellem Singen fuhr sein Schwert aus der Scheide. Weiß traten die Knöchel der Hand hervor, die es drohend schwang.
„ Diese Hunde!“ keuchte er. „Das sollen sie bereuen! Ich werde diese Gräueltat blutig rächen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“
Er wandte sich um und wollte zurück, um die Verfolgung der Feinde aufzunehmen. Da jedoch griff Reven ihn hart am Arm.
„Halt, Yorn!“ rief er. „Auch mein Herz ist zerrissen wie deines, und gern würde ich mein Schwert in die Kehlen der Moradonenhunde bohren. Aber was wollen drei Männer gegen eine solche Übermacht ausrichten? Was hast du davon, wenn wir zehn oder zwanzig von ihnen erschlagen und dann entweder selbst getötet oder gar versklavt werden? Rettet das unsere Brüder? Bringt das dem Volk der Antaren die Freiheit? Nein, Yorn, erfülle deine Aufgabe! Nur dann rettest du auch jene, die nun auf dem Weg in die Sklaverei sind. Was hier auch geschehen sein mag, es darf uns nicht von unserem Weg abbringen!“
Yorn sah Reven mit wildem Blick an. Er schäumte vor Zorn und schien die Worte des Bruders gar nicht aufgenommen zu haben. Wütend wollte er sich losreißen, als sich auch Kandons schwere Hand auf seine Schulter legte.
„Komm zu dir, Yorn!“ mahnte er. „Bezähme deine Wut und verschließe den Schmerz in deinem Herzen! Lass’ uns lieber nachsehen, ob irgendjemand diesem Chaos entkommen ist. Vielleicht gibt es doch ein paar, die sich retten konnten.“
Der Gedanke, doch noch einige der Stammesbrüder zu finden, die vielleicht sogar dringend Hilfe brauchten, ließ Yorns Zorn in Sorge umschlagen. Ohne sich weiter um die anderen zu kümmern, rannte er auf die Ansiedlung zu. Rufend lief er zwischen den eingestürzten Ruinen hin und her, schaute unter umgestürzte Karren, riss brennende Balken auseinander.
Doch vergebens! Nicht einer der Niveder war zu sehen, weder lebend noch tot. Auch die anderen drei waren im Dorf ausgeschwärmt, um nach einem Lebenszeichen zu suchen. Plötzlich begann Wynn zu bellen und sauste dann wie der Blitz quer durch das Dorf. S ofort rannten die Gefährten hinter ihm drein, denn das konnte nur bedeuten, dass das Tier etwas gewittert hatte.
Als sie den Rand des Dorfes erreichten, stutzten sie. Jaulend und blaffend sprang Wynn an einer hohen, weißgekleideten Gestalt hoch, die mit eiligen Schritten aus den Feldern hinter dem Dorf kam.
„Nith!“ jubelte Yorn, und schon stürzten die drei Männer dem alten Priester entgegen. Etwas verloren stand Vanea am Rand des Dorfes und schaute der ergreifenden Begrüßungsszene zu. Immer wieder umarmte Nith die drei Zurückgekehrten, während Wynn sich gebärdete, als sei er toll geworden.
Dann waren sie wieder bei Vanea. Yorn trat zu ihr, ergriff ihre Hand und führte sie zu Nith.
„ Hier bringe ich dir Vanea, die Königin des Nebelreiches, Nith“, sagte er. „Nur ihr verdanken wir es, dass wir heute vor dir stehen und die Lösung des ersten Teils der Aufgabe berichten können. Sie gab alles auf, Thron, Heimat, Freunde, ihr ganzes Leben, um uns zu helfen. Ich versprach ihr hier bei uns eine neue Heimat, doch dieses Versprechen kann ich nun nicht halten. So kann ich ihr nichts weiter geben als meine Liebe und mein Herz, und die sollen ihr gehören, so lange sie es will. Erflehe für sie den Segen Saadhs, denn sie kränkte ihre Göttin, um ihm zu dienen.“
Mit traurigem Lächeln blickte Nith auf Vanea. „Sei mir willkommen, Fürstin“, sagte er warm, „tausendmal willkommen, denn du bringst den Hoffnungsfunken zurück in die Düsternis meines Schmerzes! Möge Saadh dich schützen, so wie du es mit den Männern tatest, deren Rückkehr eine ganze Nation erflehte. Nur ich allein blieb jedoch, um dich zu ehren, und traurig ist der Empfang, der dir in deiner neuen Heimat geboten wird. Statt Fest und Tanz empfängt dich Trauer und Zerstörung. Doch ich will mein Möglichstes tun, um dir wenigstens etwas Ruhe und Geborgenheit zu geben. - Folgt mir!“ sagte er dann zu den anderen. „Den geheimen Vorratsstollen haben die Feinde nicht entdeckt. Dort finden wir eine bequeme Unterkunft und auch genug zu essen. Dann werde ich euch berichten, was sich hier zugetragen hat, und ihr sollt mir von euren Erlebnissen erzählen. Und dann müssen wir beratschlagen, was nun weiter geschehen soll.“
Ein Stück vom Dorf entfernt
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