Das Orakel von Margyle
ausweichend, warf er den Mantel aus wie ein Fischer sein Netz. Als er sich über den Kopf des Pferdes legte, nahm Rath schnell die Zügel in eine Hand, packte mit der anderen einen Zipfel des Mantels und hielt ihn an seinem Platz.
Augenblicklich schien das große Tier all seine wütende Kraft zu verlieren und brach unter Rath zusammen. Rath sprang aus dem Sattel und rollte fluchend über den Boden, als ein weiterer hanischer Pfeil von seinem Helm abprallte. Es gelang ihm, hinter einem kleinen Felsen Schutz zu finden. Im nächsten Moment war Idrygon bei ihm.
“Wie habt Ihr mein Pferd beruhigt?” Rath rang nach Luft. “Ihr hättet getötet werden können.”
Idrygon lehnte sich schwer atmend an den Stein. “Besser ich als Ihr. Ich hatte Angst, das Pferd würde mit Euch in die Schlucht springen. Also habe ich meinen Mantel mit Traumkraut bestreut. Das Tier sollte die nächsten Stunden schlafen. Wenn die Han es für tot halten, hören sie vielleicht auf, darauf zu zielen.”
“Danke.” Rath lugte um den Stein herum zu dem gut geschützten Felsvorsprung hinauf, von dem aus die Han den Weg mit Pfeilen spickten. “Ich muss einen Trupp in ihren Rücken führen oder eine höhere Stelle ausfindig machen, von der aus unsere Bogenschützen auf
sie
schießen können.”
Idrygon schüttelte den Kopf. “Sie würden sofort merken, was Ihr vorhabt. Lasst mich diesen Trupp anführen. Ihr seid das Ziel, so viel steht fest. Bleibt hier und macht Euch bemerkbar, damit sie ihre Aufmerksamkeit auf Euch richten, während wir Stellung beziehen.”
Wenn es auch nicht nach Raths Geschmack war, musste er doch zugeben, dass der Plan sinnvoll war. Er wollte gerade zustimmen, als er bemerkte, dass aus dem Arm von Idrygons Rüstung Blut herausrann.
“Ihr seid verletzt!”
“Stimmt.” Idrygon blickte auf seinen Arm. “Doch nicht schlimm. Nehmt Leinen aus meinem Schultergurt und verbindet mich.”
Ein hanischer Pfeil zischte über sie hinweg, während Rath einen kleinen Stofffetzen durch den Riss unter Idrygons Rüstung stopfte und das Ganze dann mit einem Leinenstreifen fest umwickelte. “Später werden wir einen besseren Verband anlegen. Jetzt bleibt Ihr erst einmal hier. Ich gehe einen Eurer Hauptleute suchen, damit er den Trupp anführt.”
“Nein.” Idrygon zog ein Blatt aus seinem Gurt und stopfte es sich in den Mund. “Zum Bogenschützen oder Schwertkämpfer mag ich im Augenblick nicht taugen, doch mein Verstand ist gesund genug. Außerdem ist es für mich sicherer, mich in den Rücken des Feindes zu schleichen, als hier unten weiterhin unter Beschuss zu sein.”
“Nun gut. Seid vorsichtig. Wir können es uns nicht leisten, Euch zu verlieren.”
“Keine Sorge.” Idrygon kroch hinter ihn und kaute auf seinem Blatt. Als er versehentlich seinen verwundeten Arm belastete, verzog er das Gesicht und versuchte, nicht zusammenzuzucken. “Ein anständiger, herausfordernder Kampf ist vielleicht genau das, was ich brauche für einen guten Stuhlgang.”
Die unverschämten Worte, die Rath bei ihrem ersten Zusammentreffen Idrygon an den Kopf geworfen hatte, kehrten so zu ihm zurück und machten ihm nicht gerade Ehre.
“Lenkt sie irgendwie ab, ja?”, bat Idrygon. “Dann kann ich von hier verschwinden, ohne mit hundert Pfeilen gespickt zu werden.”
“Natürlich.” Rath nahm dem Helm ab, stülpte ihn über die Spitze seines Schwertes und hob ihn über den Felsen. “Der Allgeber möge mit Euch sein.”
Während ein Pfeilhagel niederging, duckte sich Idrygon und rannte los. Als er weit genug fort war, ließ Rath den Helm sinken und begann, einige Pfeile herauszureißen, denen es gelungen war, stecken zu bleiben. Nicht lange danach hörte er von weiter oben am Berg Kampfeslärm.
Unfähig, noch länger als sitzende Zielscheibe zu verharren, stülpte er sich wieder den Helm über und zog sein Schwert.
“Zum Angriff, Umbrianer!” Er stürzte hinter den Felsen hervor und kletterte den Hang hinauf, um in den Kampf einzugreifen. Ein kurzes, aber heftiges Gefecht folgte, nachdem Idrygon, Rath und einige ihrer Männer den hanischen Hinterhalt ausfindig gemacht hatten.
Nach einer Pause, in der die Verwundeten, einschließlich Raths Pferd verarztet wurden, setzten sie ihren Weg fort. Und da sie einen weiteren Hinterhalt fürchteten, schickten sie eine große Anzahl Späher voraus.
Doch sie trafen auf keinen zweiten Hinterhalt.
“Mir gefällt das nicht”, flüsterte Rath Idrygon zu, als sie in Sichtweite der Mine
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