Das Osterman-Wochenende - Ludlum, R: Osterman-Wochenende
reglos und ohne zu verstehen dastand.
Jetzt schlüpfte Betty wieder in die Rolle der weichen Vorstadt-Hausfrau, die sie zu sein schien. »Ihr benehmt euch alle kindisch, und ich weiß, daß es für Joe jetzt Zeit ist, nach Hause zu gehen.«
»Ich... Ich denke, wir sollten alle noch einen kleinen Schlummertrunk nehmen, Betty«, sagte Tanner. »Was meinst du?«
»Aber mach den für Joe ganz leicht«, antwortete Betty und lächelte.
»Die anderen auch«, meinte Bernie.
»Ich hole sie.« Tanner ging auf die Türe zu. »Kommen alle rein?«
»Augenblick, Johnny!« Das war Cardone, ein breites Grinsen im Gesicht. »Ich bin hier der unartige Junge, also laß mich helfen. Außerdem muß ich mal für kleine Jungs.«
Tanner ging vor Cardone in die Küche. Er war verwirrt. Als Joe das Wort »Zürich« geschrien hatte, hatte er erwartet, daß alles vorbei sein würde. Zürich war der Schlüssel, der den Zusammenbruch hätte auslösen müssen. Aber es passierte nicht.
Statt dessen passierte das Gegenteil.
Alles war wieder unter Kontrolle, und das ging von der unwahrscheinlichsten Stelle aus, die man sich vorstellen konnte, von Betty Cardone.
Plötzlich war hinter ihm ein Krachen zu hören. Tremayne stand unter der Tür und blickte auf den gestürzten Cardone hinunter.
»Well. Ein Muskelberg aus Princeton ist soeben umgekippt! Schaffen wir ihn in meinen Wagen. Ich bin heute abend der Chauffeur.«
Umgekippt? Tanner glaubte das nicht. Cardone war schon betrunken. Aber dem Zusammenbruch war er keineswegs nahe.
20.
Die drei Männer kleideten sich schnell an und verfrachteten den torkelnden, zusammenhanglos redenden Cardone auf den Vordersitz von Tremaynes Wagen. Betty und Ginny nahmen hinten Platz. Tanner beobachtete die ganze Zeit Joes Gesicht, besonders die Augen, ob dort irgend etwas darauf deutete, daß der andere sich verstellte. Aber da war nichts zu sehen. Und doch stimmte da etwas nicht, dachte er; an Cardones übertriebenen Bewegungen war zuviel Präzision. Setzte Joe sein Schweigen ein, um die anderen zu prüfen, fragte er sich?
Oder verzerrte etwa die zunehmende Spannung seine eigenen Beobachtungen?
»Verdammt!« rief Tremayne aus. »Ich habe mein Jackett im Haus gelassen.«
»Ich bringe es morgen in den Club«, sagte John. "Wir sind ja auf elf Uhr verabredet.«
»Nein, ich hole es lieber. Ich habe ein paar Notizen in der Tasche gelassen; die brauche ich vielleicht. Warte mit Bernie hier. Ich bin gleich wieder da.«
Dick rannte hinein und riß sein Jackett von einem Stuhl im Flur. Er sah Leila Osterman an, die im Wohnzimmer eine Tischplatte polierte.
»Wenn ich diese Ringe jetzt wegwische, bleibt den Tanners vielleicht noch etwas Mobiliar«, sagte sie.
»Wo ist Ali?«
»In der Küche.« Leila fuhr fort, auf der Tischplatte herumzureiben.
Als Tremayne die Küche betrat, räumte Alice gerade die Spülmaschine ein.
»Ali?«
»Oh! – Dick. Alles klar mit Joe?«
»Joe ist in Ordnung. Wie geht’s John?«
»Ist er nicht dort draußen, bei euch?«
»Ich bin hier drinnen.«
»Es ist schon spät; für Witze bin ich zu müde.«
»Mir ist wirklich nicht nach Witzen zumute. Wir waren immer gute Freunde, Ali. Du und Johnny, ihr bedeutet uns sehr viel, Ginny und mir.«
»Wir empfinden das genauso; das weißt du.«
»Das dachte ich auch. Das habe ich wirklich geglaubt. Hör mir zu...« Tremaynes Gesicht war gerötet; er schluckte ein paarmal, konnte das Zucken über seinem linken Auge nicht wegbringen. »Trefft keine Entscheidungen. Laß nicht zu, daß John – redaktionelle Entscheidungen trifft, die Leuten weh tun, solange er nicht begreift, warum sie das tun, was sie tun. «
»Ich verstehe nicht, was du...«
»Das ist sehr wichtig«, unterbrach Tremayne sie. »Er sollte versuchen, das zu verstehen. Das ist ein Fehler, den ich vor Gericht nie mache. Ich versuche immer zu verstehen.«
Alice erkannte die unausgesprochene Drohung. »Ich würde vorschlagen, du sagst das, was du sagen willst, ihm selbst.«
»Das habe ich, und er hat mir keine Antwort gegeben. Deshalb sage ich es dir. Denk daran, Ali. Niemand ist immer voll und ganz das, was er scheint. Nur, daß einige von uns etwas geschickter sind. Denk daran!«
Tremayne drehte sich um und ging hinaus; gleich darauf hörte Ali, wie die Haustüre ins Schloß fiel. Als sie auf die leere Tür blickte, bemerkte sie, daß noch jemand in der Nähe war. Das unverkennbare Geräusch eines leisen Schrittes war zu hören. Jemand war durch das Speisezimmer
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