Das Osterman-Wochenende - Ludlum, R: Osterman-Wochenende
gegangen und stand jetzt bei der Anrichte um die Ecke herum, so, daß sie den Betreffenden nicht sehen konnte. Sie ging langsam
und leise zu dem Bogen. Als sie in den kleinen, schmalen Raum trat, sah sie Leila reglos an der Wand stehen und vor sich hin starren.
Leila hatte das Gespräch in der Küche belauscht. Sie erschrak, als sie Ali sah, und lachte dann nervös. Sie wußte, daß sie ertappt worden war.
»Ich wollte mir einen frischen Lappen holen.« Sie zeigte Ali ein Staubtuch und ging ins Speisezimmer zurück, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Alice stand mitten in dem kleinen Anrichteraum und fragte sich, was das Schreckliches war, das ihnen allen widerfuhr. Irgend etwas, das das Leben jedes einzelnen im Hause betraf.
Sie lagen im Bett; Ali lag auf dem Rücken, John auf der linken Seite, von ihr abgewandt. Die Ostermans waren auf der anderen Seite des Korridors im Gästezimmer einquartiert. Das war das erste Mal am ganzen Abend, daß sie miteinander alleine waren.
Alice wußte, daß ihr Mann erschöpft war, aber sie konnte die Frage – oder war es eine Feststellung? – jetzt nicht länger hinausschieben.
»Zwischen dir und Dick und Joe gibt es irgendwelchen Ärger, nicht wahr?«
Tanner drehte sich herum; er blickte fast erleichtert zur Decke. Er hatte gewußt, daß die Frage kommen würde und hatte sich seine Antwort zurechtgelegt. Eine weitere Lüge; er begann sich an die Lügen zu gewöhnen. Aber es würde nicht mehr lange dauern – das hatte Fassett garantiert. Er begann ganz langsam, versuchte, beiläufig zu sprechen.
»Daß du auch so verdammt clever sein mußt.«
»Bin ich das?« Sie drehte sich auf die Seite herum und sah ihren Mann an.
»Es ist häßlich, aber es wird schon wieder vergehen. Du erinnerst dich doch, wie ich dir erzählt habe, daß Joe Loomis im Zug ein Aktienpaket verkaufen wollte?«
»Ja. Du wolltest nicht, daß Janet zum Mittagessen hinübergeht. Zu den Loomis, meine ich.«
»Richtig... Nun, Joe und Dick haben sich mit Loomis eingelassen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen es bleiben lassen.«
»Warum?«
»Ich habe es überprüft.«
»Was?«
»Überprüft habe ich es. Wir haben ein paar Tausend herumliegen, die fünf Prozent einbringen. Ich habe gedacht, warum eigentlich nicht? Also hab ich Andy Harrison angerufen – er ist Syndikus in der Standard, du hast ihn letztes Ostern kennengelernt. Er hat Nachforschungen angestellt.«
»Und was hat er herausgefunden?«
»Die ganze Sache stinkt. Eine krumme Tour.«
»Etwas Ungesetzliches?«
»Das wird es wahrscheinlich nächste Woche sein. Harrison hat vorgeschlagen, daß wir uns damit befassen. Ein Feature. Würde eine Riesen-Show abgeben. Das hab’ ich Joe und Dick gesagt.«
»Oh, mein Gott! Du würdest das in dein Programm aufnehmen? «
»Keine Sorge. Wir sind auf Monate ausgebucht. Wichtig ist das nicht. Und selbst wenn wir es tun würden, würde ich es ihnen sagen. Dann könnten sie rechtzeitig aussteigen.«
Ali hörte wieder, wie Cardone und Tremayne sagten: Hast du mit ihm gesprochen? Was hat er gesagt? Johnny soll keine Entscheidungen treffen... Sie waren in Panik gewesen, und jetzt begriff sie. »Joe und Dick sind fast krank vor Angst, das weißt du doch, oder?«
»Ja, ich hatte das Gefühl.«
»Du hattest das Gefühl? Um Himmels willen, das sind deine Freunde! Sie haben Angst! Schreckliche Angst!«
»Okay. Okay. Morgen im Club werde ich ihnen sagen, daß sie ganz ruhig sein können. Der Geier von San Diego fliegt heute nicht mehr.«
»Wirklich, das war grausam! Kein Wunder, daß sie alle so aufgeregt waren! Sie meinen, daß du etwas Schreckliches tust.« Ali erinnerte sich an Leilas lautlose Gestalt, die sich gegen die Küchenwand drückte und lauschte, wie Tremayne abwechselnd bettelte und drohte. »Sie haben es den Ostermans gesagt.«
»Bist du sicher? Wie denn?«
»Laß nur, das ist nicht wichtig. Sie müssen glauben, daß du ein Unmensch bist. Morgen früh, um Himmels willen, morgen früh mußt du ihnen sagen, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.«
»Ich hab’ doch gesagt, daß ich das tun würde.«
»Das erklärt so viel. Das dumme Geschrei am Pool, den Streit... Ich bin wirklich sehr böse auf dich.« Aber in Wirklichkeit war Alice Tanner das gar nicht; das Unbekannte war ihr jetzt bekannt. Sie konnte sich damit auseinandersetzen. Sie legte sich zurück, immer noch besorgt, immer noch beunruhigt, dafür aber auch in einem Maße ruhig, wie sie das seit einigen Stunden nicht mehr
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