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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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dazuverdient, schwarz natürlich. Sie ist Schauspielerin. Eine sehr gute Schauspielerin. Aber das ist egal. Wenn du dich auf Partys herumdrückst, auf Empfängen, Premieren, dann kannst du einen Job erzwingen. Als ich diese Freundin nach einer Theaterpremiere im Foyer treffe, dreht sie sich mir zu, zieht die Brauen extrem weit in ihre Stirn, lacht und gibt mir die Hand und schüttelt sie und sagt: »Hallo, Andrea! Du! Das ist aber sehr schön, dich zu treffen.« Sie wirkt nervös.
    Sie hat sich so lange geweigert, sich zu integrieren, bis das zu einer Art Automatismus geworden ist, bis sie nicht mehr anders konnte, als Außenseiterin zu sein. Ein Spiel, dass die Realität bald bestimmt. Die Frage, ob das an der Außenseiterrolle ihrer Eltern liegt, verneint sie. Aber das ist etwa so, wie wenn man einen Mann mit Rheuma fragt, ob die Krankheit ihn irgendwie beeinträchtigt. Das Leben der Eltern legt die Startbedingungen für die Kinder fest. Wenn man die nicht überwindet, bleibt man darauf hängen wie auf Crystal Meth.
    Ihr Vater kommt aus Mosambik. Er hat in der DDR Wirtschaft studiert. Auslandsstudenten hatten einen Vertrag mit |167| ihrem Heimatland, auch Jules Vater, ein Vietnamese, der in Weimar Architektur studiert hat. Nach dem Studium sollten sie zurück in die Heimat, um mit ihrer vom Staat bezahlten guten Ausbildung dem eigenen Land nützlich zu sein. Viele heirateten in der DDR und blieben, was, je nach Herkunftsland, als Vertragsbruch oder Landesverrat gewertet wurde. Der Vater dieser Freundin musste aus familiären Gründen 1986 nach Mosambik und geriet in den Bürgerkrieg. Er wurde verhaftet. Ihm wurde Landesverrat vorgeworfen. Vergeblich bemühte sich seine Frau um die Freilassung, bis ihr eine Idee kam. Sie besuchte eine Veranstaltung vom Bund demokratischer Frauen. Da waren auch verschiedene Parteivertreter und Funktionäre, denen sie die Geschichte erzählte: »Sehen Sie, und aus der Not heraus, weil sich einfach nichts tun will, hat sich der Fall herumgesprochen und Journalisten aus dem Westen wollten was wissen. Die warten nur darauf, die Geschichte zu veröffentlichen. Es sei denn natürlich, etwas passiert.« Diese Geschichte, die sie genauso gut ins Gefängnis hätte bringen können, scheuchte die Genossen auf. Drei Monate später kehrte der Mann aus Mosambik zurück. Er wog 20 Kilo weniger, sein Haar war weiß, er sprach nicht mehr. 1992 nahm er sich das Leben.
     
    Die Klinik liegt im Wald. Die letzte Bushaltestelle liegt an der Hauptstraße. Man muss einen Kilometer durch den Wald laufen. Der wuchert wild und ungestört. Rechts auf dem Weg ist ein See. Weiden beugen sich zu ihm herab. Sie spiegeln sich im See wie Frauen mit großen Frisuren. Echte Natureitelkeit. Ein abgeschiedener Ort, an dem die Kranken aufbewahrt werden. Man fährt daran nie mit dem Auto vorbei. In einer Natur, wie sie Fontane beschreibt. Nicht unpassend. |168| Denn Psychologie, das ist so 19. Jahrhundert. Denkt man manchmal.
     
    Die Folgen der deutschen Einheit werden hauptsächlich unter ökonomischen Aspekten betrachtet, noch viel später, als der Arbeitsmarkt beruhigt und die Eigenheime für viele erschwinglich wurden, waren es hauptsächlich Geldmangel oder das zu heftig empfundene Wohlstandsgefälle, die als Gründe für die allgemeine Verunsicherung vorgeschoben wurden. Dabei spielen auch ganz andere psychologische Elemente eine Rolle. Es scheint ein stärkeres Argument zu sein, zu behaupten, nun sei die finanzielle Unsicherheit größer, der Job gefährdet, die Zukunft der Kinder ungewiss, als dass man sagt, was viel richtiger ist, dass man unsicher ist, einfach weil die Heimat nun eine andere sein muss.
    Tatsache ist, dass die Wende nicht von unseren Eltern vollzogen worden ist, sondern von den alten Kadern der Generation über ihnen. Dass diese Alten so viel flexibler sind als meine Eltern, woran liegt das? Vielleicht, weil diese Generation kein anderes System kennengelernt hat, nur die DDR, in die sie hineingeboren wurde. In ein Land, das die Antwort sein sollte auf das Dritte Reich, auf alles Schlechte, das von deutschem Boden ausgegangen war. Meine Eltern gehören zu der Generation, die nur den Sozialismus kannte, die ernsthaft an eine bessere Zukunft glaubte. Und das schmeißt man dann nicht so einfach weg, sein Vokabular, seine Ideale, sein Vertrauen in dieses Land. Die Generation meiner Eltern ist auf die Straße gegangen, um eine Demokratie einzufordern, um die Stasimacht zu stürzen, um bessere

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