Das Paradies
immerhin, dass wir uns an unsere östlichen Grenzen gewöhnt haben.
Selbst Konrad Adenauer versprach kurz nach dem Krieg eine baldige Rückkehr der Ostvertriebenen. Ich möchte ihr Leid nicht relativieren. Aber viele Vertriebene sind Deutsche, die sich mit dem Einmarsch der Nazis in Polen angesiedelt hatten, weil mit den Nazigesetzen in Deutschland nur noch der älteste Sohn einen Hof erben konnte. Damit unterstützten die Nazis die Ausdehnung nach Osten.
Apropos Bayern: 20 Jahre nachdem meine Eltern das letzte Mal im Ausland, also in Russland, gewesen waren, planten wir eine Fahrt nach Bayern. Wieder war es unser Rechtsanwalt, der uns den Vorschlag machte und die Adresse von Baron von Schnurbein gab. Der besaß einen Hof, eine Forellenzucht, eine Menge Wald und ein großes Bauernhaus mittendrin, dessen Einsamkeit meinen Eltern gefiel. Dreimal mussten |215| wir vorher zum Impfen, gegen Zecken, denn die seien bestialisch im Bayerischen Wald. Es existiert stundenlanges Filmmaterial, von dem Moment, als wir die bayerische Grenze passierten, bis zur Heimreise. Jeder Baum wurde festgehalten, jede Straße, unser Weg aus dem Wald in die Stadt, unser Weg an den See, Baden im Fluss, Natur, Forellenzucht, Forellen bei der Fütterung usw. Ein einziges Mal sind wir essen gegangen, also auswärts, also in ein richtiges Restaurant. In Regen, der nächstgrößeren Stadt, gingen wir zum Chinesen. Sehr chinesisch war da alles, mit goldenen Löwen vor der Tür und einem Aquarium im Eingang, an dem wir eine Weile standen und die Fische bewunderten. Wir bestellten irgendwas, Ente, Reis, Glasnudeln. Das Gemüse war so scharf, dass wir Kinder kaum etwas davon herunterbekamen. Wir wurden aufgefordert, den Teller zu leeren. »Nein, ich kann nicht mehr, es ist zu scharf.«
»Das wird jetzt gegessen.«
»Kann ich eine Cola haben, bitte?« Der Erste begann zu weinen.
»Das hilft nicht gegen das Scharfe.«
»Bitte.«
Daraufhin heulten wir alle drei.
Mit dem Baron verstand sich mein Vater deshalb so gut, weil sie beide in einer alten – ihrer alten – Welt lebten. Wenn sie von Heimat sprachen, meinten sie nicht die Gegenwart. Beide hegten eine Sympathie für die verlorene Sache, so hat Gómez Dávila einmal über das Wesen des Reaktionärs gesagt. »Denn er sieht, so weit sein Auge blickt, in dieser Gesellschaft nichts, was sich zu konservieren lohnte. Er sieht überall und überscharf das Verlorene.« Der Baron stand auf, wenn seine Frau den Tisch verließ, und sprach mit einer |216| Pfeife in der Hand so lange im Stehen, bis seine Frau wieder hereinkam und sich setzte. Ihre Kinder besuchten das Internat in Salem. Sie waren munter, klug, frech und sehr nett. Wir erzählten uns die krassesten Horrorgeschichten. Der Hof war niemals still. Wir waren Zaungäste dort, mit einer Welt konfrontiert, die wir nicht wirklich betreten und auch nicht nachahmen konnten. Sie hatten eine Geschichte. Tradition. Rituale. Das machte sie unabhängig, keine äußeren Ereignisse hätten an diesem Leben im Kern etwas verändern können. In ihrer Gegenwart hob sich unweigerlich die eigene Stimmung. Gleichzeitig wussten wir hier, was uns fehlte, nämlich etwas, worauf wir uns beziehen konnten. Eine Identität. Uns klebte die DDR am Arsch, eine Diktatur, sonst nichts. Wo sollten wir suchen? Zurückspringen in die Familie vor 80 Jahren vielleicht? Der Baron sprach von »Holzpreisen« und Königen und zeigte uns seine Forellenzucht – drei oder vier Deiche am Waldrand, über die man jeweils mit viel Anlauf vielleicht hätte springen können. Wenn der Baron das Futter mit viel Schwung über das Wasser streute, begannen Hunderte Forellen das Wasser aufzuwühlen, dass es sprudelte wie im Whirlpool. Wenn es kein Futter gab, spiegelten sich nur die Libellen und ein paar Mücken, der Himmel und man selbst darin.
Einmal hörten wir in der Küche im Radio eine Werbung für Reisen in die Karibik: »Auch Sie können ins Paradies fliegen.« Behauptete da einer.
»Das Paradies ist hier!«, sagte die Frau vom Baron und schälte eine Gurke.
*
|217|
I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked,
dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix,
angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to the starry dynamo in the machinery of night,
who poverty and tatters and hollow-eyed and high sat up smoking in the supernatural darkness of cold-water flats floating across
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