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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Buffet. Der alte Nachbar von gegenüber war dazugekommen. Es wurde sich nach Gesundheit und Wohl der Kinder erkundigt und nach den Geschäften. Er habe sich ja nun selbständig gemacht und verkaufe ja nun »über tausend Computerschriften«. Foelkel war ohne Zweifel ein sehr schlechter Unternehmer, das schwerfällige A, das er vor seinem Haus über einer Sandsteinmauer aufgestellt hatte, ragte zwei Meter in die Luft und leuchtete in der Nacht. Der breitbeinige Buchstabe stand da, ein Koloss von Rhodos, und außer den Nachbarn hatte von seinem Geschäft noch niemand gehört.
    Meine Tante verließ den Tisch, sie sorgte sich um den spezifisch ländlichen Dorfcharme, den sie bedroht sah von einer großen Leuchtreklame. Aber heutzutage darf man ja keinen mehr zu etwas zwingen.
     
    Jetzt stehen wir schon brav auf der Bühne, und Frau Reiher sagt noch kurz ins Mikrofon, dass wir nun Abschied nehmen müssen von der schönen Kindheit und dann mal los ins Leben und noch irgendeinen Quatsch, für den sie ausgepeitscht werden sollte.
    |160| Und dann sehe ich das, was ich am Sozialismus wirklich liebe. Drei gigantische Kronleuchter, an denen Hunderte Glasstäbchen hängen, könnte auch eine optische Täuschung sein, damit muss man rechnen. Im Osten ist die Holzwand dann doch nur Tapete, der Marmorboden aus Stein und Wollpullover aus Man-weiß-es-nicht, etwas, das kratzt und Allergien auslöst. Der Kronleuchter ist schön. Das Schönste daran ist, dass man nie nah genug herankommen wird, um zu sehen, ob es wirklich Kristalle sind oder Glas oder Plastik. Egal. Hauptsache, es funkelt. Wir sind jetzt sozialistisch getauft. Auf der Urkunde, die wir bekommen, steht in Fraktur »Urkunde«, kleiner gedruckt der Name, darunter Fantasiestempel, krikelkrakel, fertig.
     
    Vor ein paar Tagen standen zwei schöne Frauen vor mir in der Fußgängerzone, ich war mal bei Pimkie drin, und als ich rauskam, standen die da und fragten, ob ich schon mal über Gott nachgedacht hätte. Tja, Gott, also Gott, ja, noch gar nicht so richtig, sagte ich, nachgedacht jedenfalls nicht. Gab es den denn etwa? Ob ich einer Kirche angehöre, fragten sie. Na ja, das Einzige, sagte ich, was bei Kirche sofort vor mir auftaucht, das ist die Inquisition. Aha, falsche Antwort. Sie seufzten nämlich ausgiebig, schauten sich an, nickten. Sie sprachen mit amerikanischem Akzent, hatten lange lockige, extrem gepflegte Haare, Gesichter, Körper.
    Wie bitte? Ob ich gestresst sei? O ja, sicher, sehr, sagte ich und genoss den besorgten Blick der beiden. Dann solle ich doch mal mitkommen. Das war so irre, weil die ein gelbes Zelt direkt vor dem Nationaltheater aufgebaut hatten, was bisher nur Bratwurstverkäufern erlaubt gewesen war. Vor dem gelben Zelt stand einer und verkaufte ein Magazin. Der |161| sah fertig und traurig aus und hatte total fettiges Haar. Im gelben Zelt war alles gelb. Zwei Plastikröhren sollte ich halten, und dann sagte die Frau: »Viel zu tun in der Schule? Streit mit den Eltern?« Mir schien, dass sie sich damit sehr gut auskannte.
     
    Meine Mutter steht unter der Dunstabzugshaube in der Küche und brät Reis an. »Mama, kann ich morgen zu Scientology?«
    »Hä?«
    »Mach doch mal die scheiß Lüftung aus!«
    »Was ist denn?«
    »Hörst du mich?
    »Ja.«
    »Hörst du mir zu?«
    »Langsam machst du mich meschugge. Nu red.«
    »Ich würd gern mal zu einem Vortrag von Scientology, die waren sehr nett. Die haben einen Stresstest gemacht«, sage ich.
    »Und was kam dabei heraus?«
    »Tja, dass ich sehr gestresst bin.«
    »Und?«
    »Die haben morgen so ein Treffen, mit allen Interessierten. Kannst du mich hinfahren?«
    Meine Mutter macht erst mal das, was sie immer, immer, immer macht, wenn sie etwas nicht ganz verstanden hat: Sie geht ans Bücherregal, kommt mit dem Lexikon zurück und blättert. »Nö, Scien…, ne, steht hier nicht drin. Was soll das sein?«
    »Die haben ein gelbes Zelt.«
    »Dein Vater ist Kommunist und ich, na, weißt schon. Reicht dir das nicht?« Sie klappt das Buch mit einem lauten |162| Knall zu. Ja, genau, ich bin Ostdeutsche und Jüdin und sonst nichts.
    Das Problem mit der Judensache war, dass von uns jedenfalls niemand wusste, was man als Jude nun zu tun hatte. Hat natürlich keiner je eine Synagoge von innen gesehen. Nicht einmal von außen. Es hatte nur diesen Anruf gegeben, und danach hieß es, deine Großmutter hat sich umgebracht, und wir sind Juden. Der Anruf kam von Frau Blümchen. Die heißt wirklich so. Und die Großmutter

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