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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Jedenfalls hat das alles keiner ernsthaft haben wollen. Meine Mutter hat mir erzählt, dass 89 bei den Demos plötzlich eine Gruppe auftauchte, Menschen, die niemand |186| kannte, die waren die Ersten, die riefen: ›Wir sind ein Volk!‹ Bis dahin wollten alle erst mal das Volk sein.«
    »Nicht einmal Schorlemmer wollte die Einheit.«
    Jule: »O Gott, Schorlemmer. Erinnert ihr euch, als er in unserer Schulaula eine Rede gehalten hat? Und uns mit Goethe kam? In Weimar! Und so glücklich vor sich hinbrabbelte, als er was aufsagen konnte.«
    »Na ja, stell dir vor, du machst eine Revolution und plötzlich läuft sie in eine Richtung, die du nicht mehr beeinflussen kannst. Keiner fragt dich nach deiner Meinung. Im Grunde will man deine Meinung nicht. Nicht mal die Meinung von Christa Wolf. Ich meine, einer Nobelpreisanwärterin, die sich vielleicht blöd verhalten hat. Aber ich bin sowieso schon immer Fan von der gewesen. Man kann nicht immer perfekt sein.«
    »Wieso blöd? Wann?«
    »Als das mit der Stasi rauskam, hat sie gesagt, so ungefähr, sie hätte es vergessen zu erwähnen.«
    »Und als in Weimar die Bauhaus-Uni gegründet wurde, gab es keinen einzigen ostdeutschen Professor. Das Kulturjahr passierte einfach, wehte einmal durch die Stadt, von den Leitern hatte vorher und auch danach nie wieder jemand gehört.«
    »Aber das nimmt man ja eigentlich erst mal so hin, weil aus der Zone jetzt Kulturland geworden ist, und letztlich sind wir alle darüber froh, wenigstens irgendeinen Grund zu haben, hier zu sein.«
    »Ja, es sei denn, jemand will dir deinen Parkplatz wegnehmen. Das ist ja mit Parkplätzen eine interessante Sache. Die sind wichtig für Ureinwohner. Der Weimarer hat sich da noch zu Hause gefühlt. Der letzte Ort, wo er mit Jogginghose herumlaufen kann.«
    |187| »Und das ging jetzt nicht mehr.«
    »Nein. Ich persönlich bin ja schon immer Fan von Daniel Buren gewesen. Aber die Geschichte ist auch keine Geschichte eines Krieges, sie ist eine, die noch nicht erzählt wurde.«
    »Welche Geschichten wurden noch nicht erzählt?«
    »Unsere«, sagt Lucian.
    »Und wie wir Hagebutten als Juckpulver eingesetzt haben«, sagt Jule.

|189| 9. Ausland
    Nirgends findet man so eine Atmosphäre wie hier. Im Osten. Ostdeutschland. Ehemalige DDR. Zone. Was weiß ich. Verdammt, für dieses Dings, das einmal die DDR war, gibt es keinen politisch korrekten Ausdruck. Neulich sagte jemand, dass es in der Bundesrepublik noch in den Sechzigerjahren Schulatlanten gab, in denen die DDR »Mitteldeutschland« hieß. Und das eigentliche »Ostdeutschland« Ostpreußen war (»vorübergehend unter sowjetischer Verwaltung«). Jetzt heißt es Zone. Oder? Ostdeutschland natürlich. Wobei meine Mutter darauf besteht, dass wir Deutsche sind. Ja, ja, sage ich dann: Deutsche in Ostdeutschland. Meine Mutter lehnt das Wort »Ostdeutschland« ab. Wir gehören zusammen, sagt sie, rein geographisch sei ja auch Bayern Ostdeutschland. Aber sie will davon nichts hören. Wir sind ein Land. Als gäbe es überhaupt keine Unterschiede, als hätte es die DDR nicht gegeben, die Grenze, die Grenzsteine, unterschiedliche Löhne, Mieten, Vergangenheit. Sie sagen: Hier ist alles ganz normal. »Und was sind wir?«, frage ich meine Mutter. »Wir sind natürlich aus der DDR«, sagt sie.
    Das ist der alte Obelix-Witz: Hier gibt es keine Dicken, nur einen, und der ist nicht dick.
     
    |190| Die Macht über Namen ist ein Mittel der Politik.
    Jedenfalls: Nirgends findet man diese Atmosphäre. Man kann sie nicht sehen, man weiß nicht, woher sie kommt. Du kommst in eine Stadt und begegnest dieser Atmosphäre. Du denkst, du kannst sie sehen. Aber du kannst es nicht. Woher kommt sie? Nicht aus den Assi-Hochhäusern, den leeren Dorfkneipen, ihren Kellnern, den Jugendzimmern, Volkshäusern, weder der Bürgermeister noch seine neu gekürte Zwiebelkönigin erzählen es dir.
    Und diese Atmosphäre? Sie bleibt an dir kleben. Du schleppst sie mit, wohin du auch gehst. Rasselnde Blechdosen an deinem ostdeutschen Arsch. Unsere Nachbarin (von ihr habe ich nun mal einen Großteil meiner Bildung) erzählte uns manchmal von ihrer Tochter, die in der Schweiz lebte. Als sie sie einmal in der Schweiz besuchte und alle auf dem Balkon bei Kerzenschein über die Familie sprachen und von diesem »Früher«, habe die Tochter gesagt: »Red nicht so laut, hier weiß keiner, dass ich ausm Osten komme. Soll auch so bleiben, Mama.«
    Ich habe einen Freund, den trafen wir jedes Jahr im Urlaub in

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