Das Paradies
wenn man sie braucht …«
Hier auf dem Mars: »Erkundigen Sie sich vor Ort nach den Öffnungszeiten der Restaurants, sie sind weit bekannt (viele Anwohner halten sie sogar im Notizbuch fest).«
Wenn Sie zum Mars reisen: »Um nicht unnötig viel Zeit mit Suchen zu verbringen, sollte man – je nach Geschmack und Bedarf natürlich – mitnehmen: Kaffee, Tee, Müsli, Reis, Nudeln, Vollkornbrot, eventuell einige Dosen und für den Anfang der Reise natürlich frisches Obst und Gemüse.«
Zusammengefasst bewegte man sich auf dem DDR-Mars in einem Trümmerhaufen: »Ganze Häuserzeilen stürzen ein. Der Sozialismus scheint wie ein zerstörerischer Krieg über das Land gegangen zu sein. Es ist der Kommandowirtschaft nicht gelungen, Altbauten zu erhalten, sie zu sanieren und |207| mit einem Minimum an Komfort auszustatten. Statt dessen hat man Dächer bewußt nicht geflickt, damit Häuser verrotteten und sich Sanierungsprobleme ohne Zutun lösten. In den Kapiteln 3–7 werden Sie mehr als genug unser Entsetzen über den Umgang mit altehrwürdigen Häusern, aber auch historisch wertvoller Bausubstanz wie Schlössern etc. lesen. Wir waren häufig so deprimiert, auch so empört, daß wir von anfänglicher Zurückhaltung und Toleranz ließen und die Eindrücke beim Namen nannten.«
Zum Beispiel zum Straßenverkehr: »In der DDR müssen Radfahrer grundsätzlich hintereinander fahren.«
Und: »
Schlange stehen.
Es ist uns täglich viele Male passiert, daß wir auf einer Straße anhielten, um z. B. nach einer Richtung zu fragen. Hinter uns fahrende Autos zogen nicht etwa an uns vorbei, sondern hielten auch an. Wenn wir dann z. B. zum Wenden rückwärts fahren wollten, mußten wir erst mal die Maikäfer-Trabis vorbeiwinken, die häufig so dicht auffuhren, daß sie aus den VW-Bus-Rückspiegeln nur mit Mühe auszumachen waren.«
Nachdem sich die Hälfte der Ostdeutschen in die Schweiz und nach Stuttgart abgesetzt hat oder mit dem neuen Benz in den Tod gerast ist, kann ich mir vorstellen, dass man gern auch mal wartet, wenn ein Auto auf der Straße wenden will. Mehr kann ich vor Lachen nicht dazu sagen.
Für Westdeutsche muss Ostdeutschland so fremd sein wie der Amazonas. Eine Abiturklasse in Nordrhein-Westfalen fragte sich 1992 in einem Aufsatz, ob die Ostdeutschen genug zu essen hätten, ob man in der Zone auch Weihnachten feiere. »Schön, Sie wiederzusehen«, sagte Birgit, gab unserem Weihnachtsmann die Hand und führte ihn über den |208| schmalen Flur ins Wohnzimmer. Der Weihnachtsmann bekam eine Packung Karo-Zigaretten als Dankeschön.
Es ist nicht die Welt, in der man sich wiederfinden will. Hier kann man aufwachsen und sonst nichts. Ein Jahr nachdem die Abiturklasse in Nordrhein-Westfalen dachte, dass wir verhungern, werde ich in die zweite Klasse versetzt.
Wir lernen, dass Deutschland »14 Bundesländer« hat. »Nein, Entschuldigung, 16«, sagt Frau Knorr, die mit Mühe in die zweite Klasse versetzt wurde. Worauf Jule sich meldet. »Ja, bitte, Julia, du hast eine Frage?«
»Frau Knorr?«
»Ja, Julia?«
»Frau Knorr, was ist mit dem Westen?«
»Und ich möchte das nicht mehr hören.«
»Aber mein Papa ist in’n Westen rüber.«
»Und warum ist dein Vater im Westen?«
»Also gibt es den Westen.«
»Den Westen gibt’s nicht mehr«, schreit Melanie und dann alle. Von der dritten Reihe aus wirken die Stimmen wie ein Gewitter. »Fidschi«, sagt Christian, weil Jules Vater Vietnamese ist, manche behaupten, ihn zu kennen, weil er ständig den Muttis und Papis alles Mögliche andreht. Sein Name wird herumgereicht wie später die Tupperwarenkontakte. Jule sagt, er sei Architekt. Jule ist die Zweitbeste in der Klasse. Jule hasst aber Mathe, genau wie jeder andere auch. Sie kann ja nichts dafür, sagt sie, dass Mathe so leicht ist. Ihr Vater sagt immer: »Julia, eines musst du dir merken: Wir sind besser.«
Frau Knorr: »Später werden einige von euch vielleicht keine Arbeit finden, deshalb … Andrea, was habe ich gerade gesagt?«
»Äh, hm.«
|209| »Andrea, du landest als Erstes auf der Straße und jetzt bock nicht wieder rum.«
Frau Knorr nimmt die Brille ab, ihr Brillenband ist regenbogenfarben. Die Brille schaukelt. Frau Knorr massiert sich die Nase.
»Julia, lies bitte dein schönstes Ferienerlebnis vor.«
Jule: »Opa hat den Trabi plattgemacht. Wir sind auf ein Feld rausgefahren und haben ihn angezündet. Opa hat ihn angezündet. Wir haben gewartet. Es war dann noch wärmer als vorher und wir sind zur
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