Das Paradies der Damen - 11
um ein paar Fetzen Stoff schlug. Nach jedem Besuch bei seinem ehemaligen Mitschüler ging er ärgerlicher weg, verdrossen, den andern inmitten dieses Volks von Kokotten so vergnügt zu sehen. War denn unter all diesen Frauen mit dem leeren Herzen und dem leeren Kopf keine einzige, die ihn die Dummheit und Nichtigkeit des Lebens erkennen ließ? Gerade heute wirkte Octave erregter als sonst. Seit er Denise und Frau Desforges die große Treppe hatte heraufkommen sehen, sprach er unwillkürlich lauter und gestikulierte mit den Händen; während er absichtlich nicht den Kopf nach ihnen umwandte, wurde er lebhafter in dem Maß, wie er sie näherkommen fühlte. Sein Gesicht bekam Farbe, seine Augen nahmen einen entzückten Ausdruck an.
»Man wird dich nicht wenig bestehlen«, bemerkte Paul trocken; »ich sehe da die reinsten Diebesgesichter.«
»Oh, das übersteigt alle Begriffe«, erwiderte Mouret.
Er erzählte ihm eine ganze Reihe von Geschichten. Er teilte die Diebinnen in Klassen ein: Da waren vor allem die Berufsmäßigen; diese waren am wenigsten schädlich, weil die Polizei sie fast sämtlich kannte. Dann kamen die Diebinnen aus Manie, welche die Beute einer unbezwinglichen Begierde waren. Und endlich mußte man auf die Schwangeren achtgeben, die sich auf spezielle Artikel verlegten; so hatte der Polizeikommissar bei einer von ihnen 248 Paar rosafarbene Handschuhe gefunden, die sie in sämtlichen Handschuhläden von Paris zusammengestohlen hatte.
»Eine saubere Schule der Ehrlichkeit, dein Warenhaus, das muß ich schon sagen«, bemerkte Paul.
»Mitunter sind ganz achtbare Damen darunter«, fuhr Mouret fort. »Die vorige Woche haben wir die Schwester eines Apothekers und die Gattin eines Hofrats dabei ertappt. In solchen Fällen legt man die Sache gütlich bei.«
Er verstummte. Denise und Henriette, die er nicht aus den Augen gelassen hatte, kamen eben hinter ihnen vorbei, nachdem sie sich mit vieler Mühe bis hierher durchgearbeitet hatten. Er wandte sich plötzlich um und grüßte höflich wie ein Freund, der eine Frau nicht dadurch bloßstellen will, daß er sie vor aller Augen anhält. Allein Henriette, deren Eifersucht einmal erweckt war, hatte sehr wohl bemerkt, daß sein erster Blick Denise gegolten hatte. Dieses Mädchen mußte die Nebenbuhlerin sein, um deretwillen sie heute gekommen war.
Die Verkäuferinnen der Konfektionsabteilung hatten alle Hände voll zu tun; zwei waren erkrankt, und Frau Frédéric, die stellvertretende Abteilungsleiterin, hatte tags zuvor in aller Stille ihren Abschied genommen; sie war ohne Kündigung gegangen, ebenso wie das Haus oft genug seine Angestellten ohne Kündigung entließ. Trotz der Aufregungen des Sonderverkaufs sprach man seit dem Morgen nur von dem Vorfall. Claire fand das »sehr schick«; Marguerite machte sich über die Wut Bourdoncles lustig, während Frau Aurélie würdevoll erklärte, daß Frau Frédéric so viel Anstandsgefühl hätte besitzen müssen, wenigstens sie vorher zu verständigen.
»Gnädige Frau wünschen einen Reisemantel?« fragte Denise und bot der Dame einen Stuhl an.
»Ja«, erwiderte Frau Desforges trocken; sie war entschlossen, unhöflich zu sein.
Als Denise fortgegangen war, um Reisemäntel zu holen, blickte Frau Desforges in einen Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Wurde sie denn alt, daß man sie mit der ersten besten betrog? Der Spiegel warf das Bild der ganzen Abteilung mit ihrem lebhaften Treiben zurück; sie aber sah nur ihr bleiches Gesicht und hörte nicht, daß hinter ihr Claire Marguerite im Flüsterton eine der Skandalgeschichten von Frau Frédéric erzählte.
»Das sind unsere neuesten Modelle«, sagte Denise; »wir haben sie in mehreren Farben.«
Sie breitete vier oder fünf Mäntel aus. Frau Desforges betrachtete sie mit geringschätziger Miene und wurde bei jedem Mantel in ihrem Benehmen schroffer. Wozu diese Falten, die das Kleidungsstück so knapp machten? Und dieser andere mit den eckigen Schultern schien ja nicht mit der Schere, sondern mit der Axt zugeschnitten zu sein! Wenn man auf die Reise ging, wollte man doch anständig gekleidet sein!
Denise legte die Mäntel auseinander und wieder zusammen, ohne sich den geringsten Verdruß anmerken zu lassen. Diese Sanftmut, diese Geduld ärgerten Frau Desforges noch mehr, ihre Blicke kehrten immer wieder zu dem Spiegel zurück. Sie betrachtete sich neben Denise und stellte im stillen Vergleiche an. Konnte man ihr diese unbedeutende Gestalt vorziehen?
»Ich werde der
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