Das Paradies des August Engelhardt
Sonne, schmeckten die Nüsse, warteten Bücher darauf, gelesen zu werden. Engelhardt wurde viel langsamer. Seine Schritte setzte er achtsamer, denn alle Ziele lagen so nah, das Meer, die Palmen, der Strand, sein Schlafplatz, die Bibliothek, es gab keinen Grund mehr für Eile, kein Zug fuhr ab, keine Theatervorstellung begann, keine Arbeitszeit, keiner wartete ungeduldig auf ihn. Noch erinnerte er sich daran, dass es das gab, in einer anderen, einer sehr fernen Welt, aber schon das Gefühl war nicht mehr echt. Besonders oft saß er mit dem Rücken an die ockerfarbenen Felsen gelehnt, die Wind und Wellen weich und rund geschliffen hatten, die Füße ausgestreckt und umspült vom Wasser, neben sich eine Nuss, ein paar Bücher. Alle paar Sätze hob er seinen Blick und sah in den Azur, legte das Buch zur Seite, ließ die Gedanken los und dachte den Wörtern hinterher, ließ sie aufsteigen wie kleine Wölkchen. Seine Palmen malten Schatten in den Strand. Manchmal legte er eine Hand an ihre Stämme und liebkoste sie kurz im Vorübergehen, wie man einem Kind die Haare krault. Immer häufiger saß ein gelber Kakadu bei ihm, hockte auf den Felsen, flog um die Palmen und bewarf ihn mit Aststückchen und Rindenteilen. Oft ließ er das Buch sinken und glitt ins Meer. Weit draußen war eine Stelle, an der eine Herde Seekühe graste. Inzwischen flohen sie nicht mehr, wenn er sich näherte, ein oder zweimal gelang es ihm sogar, einer von ihnen über den Rücken zu streicheln. Die Tiere spürten, dass er seit Jahren kein Fleisch aß.
Hin und wieder schrieb er einen Brief in die Heimat. Einmal in der Woche legte das Schiff an der Mole an, der einzige Moment, in dem er ein Lendentuch umlegte. Nie erwartete er das Schiff. Blieb es einmal aus, fehlte ihm nichts. Als er von der ersten Begegnung mit Winnetou las, beschloss er, wieder einmal zu seinen Wilden zu gehen. Die Füße schmerzten längst nicht mehr beim Gang durch den Wald, und er erkannte die Rufe der Vögel, den Duft der Orchideen, noch bevor er sie sah, und die Schmetterlinge, die um ihre Blüten schwirrten, die Kothaufen der Fliegenden Hunde, die Spuren der Warane im Sand. Zum ersten Mal warfen die Kinder keine Steine oder verzogen sich, wenn sie ihn sahen, sogar die Frauen flüchteten nicht sofort in ihre Hütten, sondern beackerten mit dem Grabstock weiterhin ihre Felder. Männer saßen rauchend und betelkauend im Schatten der Hütten. Ein Mädchen hatte eine Schnur zwischen den Fingern gespannt, fädelte die Fingerspitzen hindurch, bewegte die Daumen, ließ die Schlaufe auf den Zeigefinger springen, den Ringfinger, sah ihn an, und er erinnerte sich an das Spiel, damals in Nürnberg auf der Straße vor ihrem Haus, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, nicht älter als er, in weißem Reifrock, fädelte einen gelben Faden über seine Hände und lachte, als ihm der Schlaufensprung nicht gelang. Eines der geblendeten Schweine rannte herum, schnüffelte kurz an seinen Waden und verschwand in der Hütte. Endlich kam ein Mann auf ihn zu. Alter unbestimmbar, etwas kleiner als er, im rechten Ohr einen Ring aus schwarzem Holz, auf der Brust zwei Eberhauer, sah ihn an und sprach leise und eindringlich in einer Sprache, die Engelhardt nicht verstand. Möglicherweise der Häuptling, schwierig, wenn alle nackt gingen, den Rang zu erraten, ernst das Gesicht, die Augen leicht zugekniffen, forschend und gleichzeitig unendlich traurig. Man durfte ihn nicht unterschätzen. »Bikman?«, fragte Engelhardt und wies auf ihn. Der Ausdruck des Gesichts änderte sich nicht. Es blieb ernst und alterslos, aber in den Augen sah er so etwas wie Spott, falls es so eine Regung im Naturzustand gab. Rousseau hatte geschrieben, es gebe bei den Wilden keine Verachtung, aber Spott war vielleicht etwas anderes als Verachtung, er würde darüber nachdenken müssen. Der andere sprach weiter, eine Litanei, die möglicherweise gar nicht an ihn gerichtet war, sondern gegen ihn, eine Zauberformel oder eine fortgesetzte Beleidigung, nur ein paar Wörter glaubte er zu verstehen, die er während des kurzen Aufenthalts in Herbertshöhe gehört und aufgeschrieben hatte. Bumbum, das waren die Weißen. Luluai der Verbindungsmann eines Dorfes zu den deutschen Behörden. Chinese hieß Kongkong. Limlimbu bedeutete rumbummeln, in der Gegend herumspazieren, Nichtstun, das schlimmste Laster der Einheimischen neben dem Kannibalismus, meinte der Gouverneur. Das dürfe man auf keinen Fall einreißen lassen, aber er täuschte sich,
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