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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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und wie alle Ohrenkunst braucht es Zeit. Ein Bild hat man in einer Sekunde gesehen. In zwei Stunden hat man im Louvre alle großen Maler der ganzen Welt betrachtet, in ein paar Schritten von da Vinci zu Rubens, von Rembrandt zu Dürer und zwischendrin die italienische Renaissance und die Antikensammlung, ein Blick für die Venus von Milo, einer für die Mona Lisa, ein dritter für einen ägyptischen Totengott aus gelbem Sandstein, deswegen ist die Bildende Kunst so beliebt, sie kostet kaum Zeit, und trotzdem kann man sich mit ihr brüsten, Caravaggio, klar, kenne ich, Michelangelo, sicher, Breughel, ein großer Maler, Delacroix, bunt und ein wenig überschätzt, einen halben Atemzug lang die Leinwand mit dem Auge gestreift, und schon kann man urteilen, zwei Stunden, das ist nicht einmal eine halbe Oper, das sind nur ein paar Seiten eines Romans. Die Musikgeschichte wirklich zu hören, kostet einen Jahre seines Lebens, das Lesen der großen Dichter ebenso lange. Wie billig und simpel ist im Vergleich das Betrachten von Bildern. Daran kann man schon messen, wie beschränkt das Auge als Organ ist und wie komplex die Wahrnehmung mit den Ohren.

In Deutsch-Südwestafrika erhoben sich die Hereros gegen die Kolonialmacht, schleuderten Speere gegen das Maxim-Maschinengewehr, fünfhundert Schuss pro Minute, wassergekühlter Lauf, Rückstoßlader, ein Wunder der Technik, what ever happens, we have got / the Maxim gun and they have not, die Aufständischen wurden erschossen oder in die Wüste getrieben und krepierten mit Billigung des Kaisers. Die baltische Flotte hielt vier englische Fischkutter für japanische Torpedoboote und versenkte sie, während Japan Russland überfiel und Wilhelm II. nicht wusste, mit wem er es halten sollte, und vorsichtshalber Generälen beider Kriegsparteien den Pour le Merite verlieh, mit Billigung des Zaren und des japanischen Kaisers. Madame Butterfly fiel in Rom durch, Zuschauer schliefen während der Vorführung ein, und Puccini versprach, sie noch einmal zu überarbeiten. In Berlin spannten sich Studenten vor den Wagen der Schleiertänzerin Isadora Duncan und zogen ihn durch die Stadt. Das erste telegrafische Foto wurde von München nach Nürnberg übertragen, ein Verfahren, das die Polizei direkt nutzte, um einen Juwelenräuber zu fassen. Die USA gewannen bei den Olympischen Spielen in St. Louis 146 von 159 Medaillen, während auf Kabakon Lützow und Engelhardt das Glück suchten. Der Komponist verbrachte Tage am Meer, hielt die Augen geschlossen und hörte dem Gesang der Wellen zu. Belauschte die Vögel des Waldes. Genoss das Regenlied. Einmal ließ er sich von Engelhardt die Augen verbinden und verbrachte zwei Wochen als Blinder, tastete sich über den Strand, wurde ganz Ohr und ganz Hand, alle Sinne geschärft, spürte, dass alle Objekte lebten, der Fels selber vibrierte, in der Palme pulsierte die Energie, tief in der Erde pochte ein Herz. Ohr und Hand verbanden sich mit den Dingen, weil das Auge sie nicht mehr davon trennte. Er nahm die Binde erst ab, als er in eine Muschel getreten war und das Blut aus dem Fuß floss. Hinterher war die Welt ungeheuer weit und wundersam, und Engelhardt ging einige Tage blind. Die ganze Welt rückte nah, und er selber löste sich auf, wurde Teil davon, wurde Wind und Palme und Meer, geleitet von der Hand des Freundes, nur die Bücher vermisste er, aber Max las ihm alles vor, was er über die Musik finden konnte, Plotin, der behauptete, alle irdische Musik sei Stellvertreter der himmlischen Musik, oder Leibniz, der meinte, sie sei die verborgene arithmetische Übung der Seele. Im Gegenzug rezitierte Engelhardt Gedichte. Für einige Stunden hatte er Verse im Kopf. Wenn er nicht mehr konnte, summte Max Arien.
    Mit ihm war all das neu und frisch, an das er sich längst gewöhnt hatte. Die Begeisterung über die Insel, die Freude, die schal geworden war, die Hoffnung, er könne hier finden, was ihm abhanden gekommen war, sodass er sogar überlegt hatte, ob er nicht zurückkehren sollte, nicht nach Berlin, aber zu Diefenbach nach Capri, der schrieb ihm hin und wieder. Auch dort schien die Sonne, und der Maler war milder geworden mit der Zeit und würde ihn gerne aufnehmen. Nach Australien, dort war es heiß wie auf der Insel, und dort lebten Deutsche.
    Das war vorbei. Es regnete immer seltener, und mit Max würde er bleiben, nur dass der immer wieder zu den Wilden ging, war irritierend, trotz seiner Warnungen. Er ließ sich deren Lieder vorsingen und schwärmte

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