Das Paradies ist anderswo
Blaue vom Himmel, um dich dazu zu bringen, die Leitung von Les Guêpes zu übernehmen. Alles lief perfekt, fast ohne daß es dir bewußt wurde. Achtzehn Monate lang hattest du gegessen und getrunken und mit deinen Streitreden ein kleines Erdbeben auf der Insel ausgelöst, und in diesem ganzen Wirbel hattest du dich ablenken lassen und vergessen, daß du Maler warst. Warst du zufrieden mit deinem Schicksal? Nein. Würdest du weiter für Cardella arbeiten? Auf keinen Fall.
Was würdest du dann tun? So bald wie möglich diese verfluchte Insel Tahiti verlassen, die Europa längst verdorben, auf der es alles zerstört hatte, was an ihr einst wild gewesen war und freies Atmen verhieß. Wohin würdest du deine müden Knochen und deinen kranken Körper schleppen, Paul? Auf die Marquesas natürlich. Dort bewahrte ein noch freies, ungezähmtes Volk von Maori unversehrt seine Kultur, seine Sitten, die Kunst der Tätowierungen und, im Herzen der Wälder, den heiligen Kannibalismus. Es wäre ein Reinigungsbad, Koke. In dieser neuen, frischen, jungfräulichen Umgebung würde die unaussprechliche Krankheit zum Stillstand kommen. Dort könntest du vielleicht wieder zum Pinsel greifen, Paul.
Kaum hatte er die Entscheidung getroffen, nahmen die Dinge auch schon eine günstige Wende. Man hatte ihn gerade aus dem Hospital Vaiami entlassen, als die wie eine Bombe einschlagende Nachricht eintraf, Paris habe den Gouverneur Gustave Gallet von seinem Posten abgesetzt. Die Siedler, für die du arbeitetest, waren so froh darüber, daß du sie ohne große Mühe von der Sinnlosigkeit überzeugen konntest, nach diesem Triumph die Zeitung weiter zu veröffentlichen. Sie entließen dich mit einer guten Abfindung.
Wenige Tage später, als er in einem dieser fiebrigen Zustände, die stets den großen Veränderungen in seinem Leben vorausgingen, Erkundigungen über Schiffe zwischen Tahiti und den Marquesainseln einholte, kam Pierre Levergos zu ihm, um ihm zu sagen, daß Axel Nordman, einschwedischer Bürger, der sich kürzlich auf Tahiti niedergelassen hatte, ihm seine Hütte in Punaauia abkaufen wolle. Er habe sie im Vorbeigehen gesehen und Gefallen an ihr gefunden. Paul wurde mit ihm in achtundvierzig Stunden einig; von dem Geld konnte er sein Billett und den Transport seiner wenigen Habseligkeiten bezahlen und sogar noch eine kleine Summe abzweigen, die er Pau’ura und dem kleinen Emile schenkte. Das Mädchen weigerte sich entschieden, ihn auf die Marquesas zu begleiten. Was sollte sie dort, so weit von ihrer Familie entfernt? Das war eine sehr ferne und gefährliche Welt. Koke könnte jeden Augenblick sterben, und was würde dann aus ihr und dem Kind? Sie ging lieber zu ihrer Familie zurück.
Es machte dir nicht viel aus. In Wahrheit wären Pau’ura und Emile ein Hemmschuh gewesen beim Aufbau dieser neuen Existenz. Dagegen machte es dich zornig, daß Pierre Levergos sich weigerte, dich zu begleiten. Du botest ihm an, ihn als Koch mitzunehmen und deinen ganzen Besitz mit ihm zu teilen. Dein Nachbar war kategorisch: Nicht für alles Gold der Welt wäre er bereit, sich von der Stelle zu rühren. Nie würde er so verrückt sein, dir bei dieser absurden Entscheidung zu folgen. Daraufhin beschimpfte Paul ihn als verbürgerlicht, feige, mittelmäßig und treulos.
Pierre Levergos verharrte einen Augenblick nachdenklich, ohne auf deine Beschimpfungen zu antworten, während er mit seinem Mund, dem die Hälfte der Zähne fehlte, auf einem Grashalm herumkaute. Sie saßen unter freiem Himmel, neben dem großen Mangobaum, der ihnen Schatten spendete. Schließlich, ohne die Stimme zu heben, ruhig, jede Silbe betonend, sagte er zu dir:
»Du erzählst überall herum, daß du auf die Marquesas gehst, weil du dort billigere Modelle bekommst, weil das Land dort jungfräulich und die Kultur weniger dekadent ist. Ich glaube, daß du die Leute anlügst. Und daß du auch dich selbst belügst, Paul. Du verläßt Tahiti wegen der Schwären an deinen Beinen. Hier will keine Frau mehr mit dir schlafen, weil sie stinken. Deshalb will Pau’ura dichnicht begleiten. Du glaubst, daß du dir auf den Marquesas, wo die Leute ärmer sind als hier, für eine Handvoll Süßigkeiten kleine Mädchen kaufen kannst. Noch ein Traum von dir, der sich in einen Alptraum verwandeln wird, Nachbar, du wirst schon sehen.«
Niemand verabschiedete ihn im Hafen von Papeete am 10. September 1901, als er die Croix du Sud bestieg, die nach Hiva Oa fuhr. Er hatte sein Akkordeon, seine Sammlung
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