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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich
Autoren: Ricardo Coler
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Stunden
     von hier liegt ein Dorf der Han. Man muss sich nur die Gesichter der Alten dort anschauen und sie mit unseren vergleichen,
     dann weiß man Bescheid. Hier geht es den Männern viel besser. Wenn sie ihrer Gefährtin überdrüssig werden, verlassen sie sie
     und suchen sich eine andere, ohne dass ihnen jemand eine Szene macht. Vor ein paar Tagen hat eine Han-Frau ihren Mann mit
     der Machete in der Hand vier Kilometer weit verfolgt, bis sie vor Erschöpfung am Fuß des Berges weinend niedergesunken ist.
     So etwas gibt es bei uns nicht.«
    |80| »Es gibt keine verzweifelten verlassenen Frauen?«
    Tsunami Ana schweigt einen Moment, atmet tief ein und sagt dann bestimmt: »Für eine Mosuo-Frau bricht die Welt nicht zusammen,
     wenn ihr Geliebter sie verlässt. Es ist ihr vielleicht nicht gleichgültig, aber es ist nicht das Einzige, was sie im Leben
     hat. Der Geliebte ist nicht ihr Lebensinhalt.«
    Tsunami Ana richtet ihren Zopf. Ich habe den Eindruck, sie ist es nicht gewohnt, so lange mit einem Mann zu reden.
    »Sie sagten, dass die Männer nicht arbeiten müssten … Aber sie kümmern sich immerhin um ihre kleinen Nichten und Neffen.«
    »Sie spielen mit ihnen und zeigen ihnen Dinge, vor allem den Jungen.«
    »Helfen sie auch, Grenzen zu setzen?«
    Ich bin mir bewusst, dass ich hier einen Begriff aus unserer westlichen Vorstellungswelt bemühe. Ich möchte wissen, wer die
     Rolle des autoritären Vaters übernimmt, der ein Machtwort spricht. Der seinem Kind mit einem Nein, das keine Widerrede duldet,
     deutlich macht, dass es nicht zu nah ans Feuer gehen, das Kabel in Ruhe lassen und aufhören soll, auf den Schrank zu klettern,
     von dem es allein nicht mehr herunterkommt. Ein Nein, das strenger ist als das liebevolle Nein der Mutter, das womöglich noch
     einen gewissen Spielraum bietet.
    |81| Die Erklärung und die Übersetzung brauchen ihre Zeit.
    »Ob der Mann dabei hilft, Grenzen zu setzen? Ja, sicher, das tut er, mehr bei den Jungen als bei den Mädchen. Die Männer können
     eine Grenze setzen, aber sie sind nicht für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Sie beschäftigen sich gern mit ihnen.
     Das tun die Mosuo-Männer mehr als die Han.«
    »Gibt es irgendeinen Bereich, der der Verantwortung der Männer obliegt?«
    Tsunami Ana steht auf, geht zum Küchentisch hinüber und füllt einen großen Topf mit Wasser.
    »Sie treffen die großen Entscheidungen.«
    »Große Entscheidungen?«
    »Ja, wenn es etwa um größere Anschaffungen geht, beispielsweise einen Stier, oder um die Suche nach einem geeigneten Platz
     für einen Hausbau. Auch wenn wir überlegen, in mehr Land zu investieren, gilt ihre Stimme. Große Entscheidungen, na ja, nichts
     wirklich Wichtiges, aber das können die Männer, und sie nehmen uns damit das ein oder andere Problem ab.«
    Die Antwort hat eine seltsame Logik. Mir kommen die Bemerkungen einiger Frauen aus meinem Bekanntenkreis in den Sinn, die
     es ganz und gar nicht mögen, wenn sie nicht gefragt werden und |82| man über ihren Kopf hinweg entscheidet, aber sie wissen es durchaus zu schätzen, wenn der Mann weiß, was er will, und das
     auch umsetzt.
    Die Mosuo-Frauen kümmern sich um Landwirtschaft, Haushalt und Familie, und sie verwalten das Geld. Aber große Entscheidungen,
     etwa über einen Anbau, den Kauf eines Tieres oder darüber, wann und wohin man eine Reise unternimmt, überlassen sie lieber
     den Männern.
    Es ist schwer nachzuvollziehen, aber diese tatsächlich »großen Entscheidungen« sind für sie nicht wichtig.

[ Menü ]
    |83| 12
    Wir nächtigen bei Tsunami Ana, sie hat Dorje, Lei und mir einen großen, kalten und unpersönlichen Raum zur Verfügung gestellt.
    »Das Essen ist gleich fertig.« Tsunami Ana ist seltsam, ich kenne sie zwar noch nicht lange, aber sie wirkt angespannt, als
     würde ihr irgendetwas bevorstehen.
    Auf dem Tisch stehen mindestens zwanzig Teller, Töpfe und Schüsseln mit Reis, Nudeln, Fisch, verschiedenen Sorten Gemüse und
     undefinierbaren Brühen in verschiedenen Farben. In einem Schälchen entdecke ich rote, in einem anderen grüne Pfefferschoten,
     eine Kasserolle ist mit erhitztem Schweinefett gefüllt. Außerdem gibt es mehrere Tassen mit Mehl und zwei Krüge mit Wasser
     sowie eine Flasche hausgemachten, süßlichen Wein. Die große Auswahl an Speisen zeigt, dass es der Familie gutgeht. Keinesfalls
     möchte man seine Gäste auf den Gedanken kommen lassen, man würde Not leiden.
    |84| Wie geschickt und flink sie mit ihren
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