Das Paradies liegt in Afrika
es verstehen.«
Mit einem Ruck warf sie den Kopf zurück, schlug das Tuch zur Seite und schob die Haare nach hinten. »Hier, schau genau hin: Hast du schon mal etwas so Hässliches gesehen?«
In Victors Gesicht regte sich kein Muskel. »Das Feuermal ⦠ist es das, was dich daran hindert, mich zu lieben?« Er lachte leise und beugte sich vor, um die dunkelrote Hautstelle hinter ihrem linken Ohr zu küssen. »Ich weià seit langem davon. Das Feuermal zieht sich bis hin zu deinem Nacken, es endet in einer wulstigen Narbe. Ich denke, dass sich ein unfähiger Chirurg daran versucht hat. Dennoch ist es ein sehr aparter Nacken.«
Die junge Frau sah ihn erst fassungslos an, dann blitzte es in ihren Augen auf. »Du nimmst mich nicht ernst! Oder â ist es Mitleid?«
»Mitleid?« Victor wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht. »Hast du mit mir Mitleid?«
»Nein.« Heftig schüttelte Olivia den Kopf.
»Dann ist ja alles gesagt.« Er nahm ihren Arm. »Wenn wir noch lange hier im Regen stehen, haben wir morgen beide einen Schnupfen.«
»Aber â¦Â«
»Keine Widerrede mehr. Ich bringe dich jetzt heim â und dann â¦Â«
»Dann gehst du durch den Regen zurück.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn zärtlich, und Victor war sich sicher, dass sie ihre Worte nicht ernst gemeint hatte.
Olivia wohnte in einem schmalen Haus in der Caledon Street. Die Fassade war ohne jeden Schmuck, nur vier schmale Fenster lieÃen Licht von der StraÃe her ins Haus. Je näher sie dem Haus kamen, umso langsamer wurden Olivias Schritte.
Unter einer Laterne, zehn Schritte von ihrem Wohnhaus entfernt, blieb sie stehen. Zart legte sie Victor die Hände ums Gesicht. »Du kannst nicht mit mir kommen«, sagte sie leise. »Ich lebe nicht allein. Mein Onkel ⦠er ist sehr streng.«
»Du lebst mit deinem Onkel zusammen? Allein mit ihm?« Fassungslos sah Victor sie an.
»Die Tante ist vor anderthalb Jahren gestorben, kurze Zeit nachdem wir nach Kapstadt gezogen sind.« Sie biss sich auf die Lippen. »Wo sollte ich hin? Er ist mein einziger Verwandter und war lange Jahre hindurch mein Vormund.« Wie von selbst glitten ihre Finger hoch zum Nacken. Es war eine unbewusste Geste, doch sie verriet Victor alles.
»Dein Onkel ist streng. Aber das ist es nicht allein, nicht wahr?« Eindringlich sah er sie an. »Liebling, du kannst, du musst mir alles sagen! Ich werde dich schützen!«
Tränen schimmerten in Olivias Augen, als sie flüsternd gestand: »Er ⦠er kommt mir nicht mehr zu nahe, seit â¦Â« Sie biss sich auf die Lippen. Dann fuhr sie fort: »Die Narbe habe ich von ihm. Er hat mich mit seinem Stock gezüchtigt.«
Scharf zog Victor die Luft ein. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Olivia fort: »Es waren keine allzu harten Schläge, doch das Feuermal platzte auf, und dann ⦠dann musste ich zum Arzt.« Sie sah Victor an. »Seither lässt er mich in Ruhe. Aber ich möchte nicht, dass er uns zusammen sieht.«
Victor straffte sich. »Doch, das wird er. Zumindest heute Abend. Wir gehen zu ihm, du nimmst dir ein paar persönliche Dinge und kommst sofort wieder mit zu uns. â Keine Widerrede. Ich hätte keine ruhige Minute mehr, wenn ich dich allein mit ihm wüsste.« Er küsste Olivia innig. »Hab keine Angst mehr, mein Liebling.«
9
S eit vier Tagen regnete es ununterbrochen. Die tiefhängenden Wolken umhüllten die Hälfte des Tafelbergs, sein »Tafeltuch«, für das er so berühmt geworden war, hatte einen grauen Schleier. In den StraÃen stand das Wasser, vermischte sich mit dem braunen Sand zu zähem Schlamm. Wer nicht dringend etwas erledigen musste, blieb daheim.
»Es wird Zeit, dass man endlich mit der Pflasterung der StraÃen beginnt«, sagte Karoline, als sie aus ihrer Kutsche stieg. »Seit zwei Jahren sprechen unsere Stadtväter schon davon, doch nichts geschieht.« Sie lieà sich von David Bernhard zu den breiten Bretterstiegen heben, die vor einigen Geschäftshäusern angebracht worden waren. Doch die grob zusammengefügten Holzplanken boten nur wenig Schutz vor dem StraÃenschmutz.
Am Abend war Karoline zu einem Festessen eingeladen, das ein bedeutender Schiffseigner gab. Jan van Meiskopjes lebte seit Jahren in einem der elegantesten Häuser an der Queen Victoria
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