Das Paradies
draußen blieben.
Aber als die Frauen ihre Schwester auf das Bett legten, ihr das Kleid hochschoben und die Beine spreizten, war Sarah verwirrt. Sie erinnerte sich plötzlich an die Nacht, als die Frauen etwas Ähnliches mit ihr gemacht hatten. Damals war Sarah sechs gewesen. Sie schlief auf ihrer Matte in der Ecke, als zwei Tanten sie ohne Vorwarnung weckten, ihre Galabija bis zur Brust hochschoben und ihr die Beine spreizten, während ihre Mutter sie von hinten hielt. Noch ehe Sarah einen Laut ausstoßen konnte, erschien die Hebamme mit einer Rasierklinge in der Hand. Eine schnelle Bewegung der Klinge, und Sarah durchzuckte ein heftiger Schmerz, schoß ihr wie ein greller Blitz durch den Kopf und bis hinauf zu den Sternen. Danach legte man sie mit zusammengebundenen Beinen wieder auf die Matte. Sie durfte sich nicht bewegen, nicht einmal die Blase entleeren, und ihre Mutter erklärte, das sei ihre Beschneidung gewesen.
Als Sarah wissen wollte, warum man sie beschnitten hatte, erwiderte ihre Mutter nur: »Das ist eine islamische Sitte.«
Sarah sah, wie ihre Mutter die Braut von hinten umfaßte, und ihre Verwirrung wuchs. Auch Nazirah war vor Jahren beschnitten worden. Sie war nicht mehr sechs, sondern vierzehn und hatte gerade Aziz al Bakr, den Bauern, geheiratet. Was hatten die Frauen mit ihr vor?
Zu Sarahs größtem Staunen betrat nun Aziz den Raum. Er trug eine neue Galabija. Die Männer drängten sich hinter ihm in der Tür, lachten, machten Gesten männlicher Potenz und riefen Worte wie »Stier« und »Bock«.
Die Beschneidung, so hatte Sarah erfahren, mußten alle Mädchen über sich ergehen lassen, so auch ihre Mutter, ihre Großmutter und Urgroßmutter. Schon zu Zeiten des Propheten Moses war das so gewesen und schon zu Zeiten von Eva, der ersten Frau. Sarahs Mutter hatte liebevoll gesagt, ein unreiner Teil ihres Körpers sei herausgeschnitten worden, um ihre sexuelle Leidenschaft zu dämpfen, damit sie ihrem Mann die Treue halte. Ohne diese Operation konnte kein Mädchen hoffen, einen Mann zu finden, der sie heiraten würde. »Der Wert eines Mädchens ist ihr Geschlecht«, hatte die Mutter ihr eingeprägt. Später hörte Sarah oft im Dorf das alte Sprichwort: »Die Ehre eines Mädchens ist ihre Keuschheit, aber ein Mann mit einem leeren Geldbeutel ist nichts wert.« Nazirah sollte nun ihre Keuschheit und Ehre unter Beweis stellen. Bedeutete das, sie wurde ein zweites Mal beschnitten?
Als Aziz seinen Platz zwischen den Beinen der Braut einnahm, drehten die Frauen sich um, denn die Eheleute sollten jetzt sich selbst überlassen sein. Aber Sarah sah nicht weg, denn sie durfte zum ersten Mal bei einer Entjungferung dabeisein und wartete gebannt darauf, was nun geschehen würde.
Aziz kniete zwischen Nazirahs Beinen. Er hatte ein weißes Taschentuch um den Mittelfinger seiner rechten Hand gewickelt und stieß mehrmals zu. Nazirah zuckte zusammen. Die versammelte Familie und die Gäste rührten sich nicht. Das ganze Dorf schien den Atem anzuhalten, als der junge Aziz, inzwischen schon etwas nervös und mit Schweißperlen auf der Stirn, noch einmal versuchte, seine Aufgabe zu erfüllen. Sarah sah ihren Vater in der Tür. Er runzelte die Stirn, und sie erinnerte sich an eine Hochzeit vor einem Jahr in einem Nachbardorf. Irgendwie gelang die Entjungferung nicht, und man mußte die Hebamme holen. Sie tat mit der Braut etwas Geheimnisvolles, und wenige Minuten später erschien der triumphierende Bräutigam mit dem blutbefleckten Taschentuch.
Sarah glaubte schon, ihre Schwester werde ebenfalls die Hebamme brauchen, aber Aziz versuchte es noch einmal und stieß heftig zu. Nazirah schrie laut, und der junge Mann sprang mit dem blutigen Taschentuch in der Hand auf. Alle brachen in Jubelrufe aus, und die Frauen begannen mit dem durchdringenden Zagharit, einem schrillen Zungentrillern der Freude und der Fröhlichkeit. Die Männer umringten Aziz, schlugen ihm auf den Rücken und feierten ihn wie einen Helden. Die Frauen beglückwünschten Nazirah und bemühten sich um sie, wie Sarah das noch nie gesehen hatte. Die Braut war eine Jungfrau. Die Ehre der Familie blieb unangetastet.
Im Gedränge der aufgeregten Verwandten gelang es Sarah nur mühsam, einen sicheren Platz zu finden. Sie fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn Aziz ihre Schwester nicht zum Bluten gebracht hätte. Und dann dachte sie an Abdu.
Sie suchte ihn bei den Männern, die sich in dem einzigen anderen Raum versammelten. Sie saßen mit gekreuzten
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