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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und doch gehört ihnen ein Drittel des Landes!«
    Sarah mochte Scheich Hamid nicht. Er war nicht nur sehr alt, sondern auch abstoßend und ungepflegt. Seiner Bildung verdankte er den Titel Scheich, aber seine Galabija war dreckig, der lange weiße Bart zottig und fleckig von Kaffee und Tabak. Seine Lebensweise war anstößig. Er hatte viermal geheiratet, und jedesmal war die Frau gestorben. Im Dorf tuschelte man, er schinde seine Frauen buchstäblich zu Tode. Sarah mißfielen die lüsternen Blicke, mit denen er auf ihre Brüste starrte, wann immer sie in seinem Laden etwas einkaufen mußte.
    Ihre Schwester saß auf dem einzigen Stuhl, den die Familie besaß. Sie wirkte abgespannt und erschöpft. Als Braut durfte Nazirah während des Fests nichts tun. Sie mußte auf dem Stuhl sitzen, lächeln und sollte nur wenig essen, während die Frauen ihr Gesellschaft leisteten. Um Aziz, die Mutter des Bräutigams, erzählte eine Geschichte über ihren Schwager Labib, der »so dumm wie Bohnenstroh ist«, wie sie sagte. »Ich habe ihm einmal einen Witz erzählt: Ein Mann hatte fünf Eier in der Tasche und sagte zu einem Fremden auf der Straße: ›Wenn du rätst, was ich in der Tasche habe, dann gebe ich dir die Eier, und wenn du rätst, wie viele es sind, dann geb ich dir alle fünf.‹ Der Fremde sagte: ›Gib mir einen Anhaltspunkt.‹ Der Mann sagte: ›Außen weiß und innen gelb.‹ ›Ich weiß‹, rief der Fremde, ›weißer Rettich, der mit Safran gefüllt ist!‹ Diesen Witz habe ich meinem dummen Schwager erzählt, und wißt ihr, was der dumme Labib gesagt hat? Er lachte höflich und dann fragte er: ›Ja, und was hatte der Mann in seiner Tasche?‹«
    Als die Frauen lachten, gab Sarah ihrer Mutter ein Zeichen, denn das Lamm war fertig. Sie trat beiseite, damit ihre Tanten das Fleisch vom Spieß ziehen und zum Zerteilen auf ein Holzbrett legen konnten. Alle freuten sich auf den knusprigen Braten und damit auf den Höhepunkt des Mahls. Sarah schlich sich unbemerkt davon und lief zu dem Stall hinter der Hütte. Die vier Wände waren aus Schilf und Maisrohr gemacht und mit Lehm verschmiert. Das Dach bestand aus Palmblättern. An sehr heißen Tagen lag hier der Büffel der Familie zum Wiederkäuen. Sarah setzte sich oft zu ihm, denn es war ihr Lieblingsplatz.
    Sie legte sich auf das Stroh und sah, daß die Sonne bald untergehen würde. Ihre roten Strahlen ließen den Bewässerungskanal in der Nähe orange aufleuchten. Sie hoffte, daß Abdu gesehen hatte, wie sie sich davonstahl. Er arbeitete inzwischen mit seinem Vater auf den Feldern, und Sarah hatte immer mehr Pflichten im Haus. Ihre Kindheit war vorüber, und sie durften nicht länger zusammen spielen. Sarah mußte bei den Frauen bleiben und Abdu bei den Männern, deshalb konnten sie nicht mehr viel Zeit miteinander verbringen. Als Kinder waren sie ständig zusammen gewesen. Sie hatten am Ufer gespielt und waren auf dem Esel geritten, wobei Sarah sich mit ihren kleinen Armen an Abdu festhielt. Aber nachdem die monatlichen Blutungen einsetzten, war das freie Leben zu Ende, Sarah mußte ein langes Gewand tragen und ihre Haare mit einem Tuch verhüllen. Man erwartete von ihr ein sittsames Verhalten. Sie durfte nicht mehr herumrennen, johlen und schreien und mußte darauf achten, daß niemand ihre Beine, noch nicht einmal die Fußknöchel sah. Nach den Jahren der Freiheit waren diese Einschränkungen beinahe unerträglich, besonders dann, wenn sie und Abdu an Festen wie heute teilnahmen, aber nicht zusammenkommen durften, weil Männer und Frauen unter sich blieben.
    Warum haben die Eltern solche Angst um ihre Töchter, fragte sich Sarah. Warum ließ ihre Mutter sie nicht mehr aus den Augen, und warum mußte Sarah plötzlich über jede Minute Rechenschaft ablegen? Warum durfte sie nicht länger allein zum Bäcker oder Fischverkäuf er gehen? Warum musterte sie ihr Vater abends mit finsteren Blicken, wenn sie Brot und Bohnen aßen? Er wirkte dann so grimmig, daß sie manchmal Angst vor ihm hatte. Was war schon dabei, wenn sie mit Abdu sprach oder mit ihm am Kanal saß, wie sie es als Kinder immer getan hatten?
    Hatte es etwas mit diesen seltsamen neuen Gefühlen zu tun, die sie in letzter Zeit beschäftigten? Manchmal überkam sie eine Art hungriges Sehnen; sie wurde unruhig und träumte in den Tag hinein. Wenn sie zum Beispiel die Wäsche im Kanal wusch oder die Kochtöpfe reinigte, wenn sie auf dem Dach die Kuhfladen für die Feuerstelle zum Trocknen ausbreitete, vergaß sie

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