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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hielt sich zurück. Jungen und Mädchen durften sich nicht berühren. Es war ihnen noch nicht einmal erlaubt, miteinander zu sprechen, es sei denn im Kreis der Familie. Sittsamkeit war an die Stelle der spielerischen Freude getreten, Gehorsam an die Stelle von Freiheit. Aber das Verlangen war geblieben, was immer auch die Umgangsformen ihnen geboten. Sarah blickte in Abdus grüne Augen, aber er sah sie so höflich an wie ein Fremder.
    »Ich habe ein Gedicht gemacht«, sagte er leise, »möchtest du es hören?« Da er wie alle im Dorf weder lesen noch schreiben konnte, vertraute er seine Gedichte der Erinnerung an. Im Laufe der Jahre waren es viele geworden, zu denen er sein neuestes hinzufügte:
    Meine Seele dürstet und möchte aus deinem Becher trinken
    Mein Herz sehnt sich danach, den Klee deiner Erde zu schmecken.
    Von deiner nährenden Brust gerissen, kann ich nur sterben
    Wie die Gazelle, die sich in der Wüste verirrt hat.
    Sarah dachte, in dem Gedicht spreche Abdu von ihr, und war so gerührt, daß sie verstummte. Sie brachte es nicht einmal über sich zu sagen: »Abdu, du siehst so gut aus wie der Fremde, wie dieser reiche Mann, dem ich am Fluß begegnet bin!«
    Aber als sie zusammen hinunter zum Nil gingen, wo sie den Wasserkrug noch einmal füllte, erzählte sie ihm von der Begegnung und zeigte ihm das kostbare Geschenk.
    Abdu zeigte erstaunlicherweise nur wenig Interesse. Ihn bewegten ganz andere Gedanken, aber er konnte sie nicht mit Sarah teilen, denn er wußte, sie würde ihn nicht verstehen. Er hatte gehofft, das Gedicht werde helfen, ihr zu zeigen, was sein Herz bewegte, seine große Liebe zu dem Land, zu Ägypten, aber als er ihr Gesicht sah, wußte er, daß sie das Gedicht falsch verstanden hatte. Abdu hatte eine fieberhafte Unruhe erfaßt, seit ein Mann in das Dorf gekommen war und über die Muslim-Bruderschaft gesprochen hatte. Er hatte mit seinen Freunden der leidenschaftlichen Rede des Fremden zugehört, der ihnen erklärt hatte, es sei an der Zeit, Ägypten zum Islam zurückzubringen und zu dem reinen Leben, wie Gott es im Koran von den Gläubigen forderte. Alle jungen Männer waren begeistert gewesen, und ihre Seelen brannten in noch nie gekannter Leidenschaft. Seit dieser Zeit saßen sie Abend für Abend zusammen und empörten sich darüber, daß man von ihnen verlangte, in alle Ewigkeit wie Esel das Land der Reichen zu bearbeiten. Wie konnten sich ihre Väter und Vorväter vor den Engländern so demütigen? »Nur weil wir Fellachen sind? Sind wir nicht auch Menschen? Haben wir nicht auch eine Seele? Hat uns Gott nicht auch nach SEINEM Bildnis geschaffen?« Plötzlich hatten sie eine Vision, eine Idee, die über die Dorfgrenzen hinausreichte, und Abdu wußte, er war zu einer höheren Aufgabe berufen.
    Diese Gedanken behielt er für sich. Er begleitete Sarah zum Haus ihrer Eltern zurück. Auf dem Weg vor dem Hof blieb er stehen und sprach stumm mit den Augen zu ihr. Die Liebe, die er für Sarah empfand, überwältigte ihn, und ein heftiger Zwiespalt ging ihm durch die Brust: Sollte er sie heiraten und an ihrer Seite alt werden oder dem Ruf der Muslim-Bruderschaft folgen und Gott und Ägypten dienen? Sarah war so bezaubernd, als sie ihn im hellen Sonnenlicht mit leuchtenden Augen strahlend ansah. Sie hatte ein vollkommenes, rundes Gesicht, ein hübsches spitzes Kinn. Er wollte sie in die Arme nehmen und küssen, denn sie reifte schnell zur Frau heran, und unter der Galabija rundeten sich bereits ihre Hüften.
    Abdu nahm sie nicht in die Arme, sondern murmelte nur verlegen:
»Allah ma’aki«
, Gott sei mit dir, und ließ sie unter der goldenen Sonne zurück.
    Sarah eilte in die Hütte. Jetzt wollte sie der Mutter von ihrem Abenteuer erzählen und ihr den Schal zeigen. Sarah hatte bereits beschlossen, ihn ihrer Mutter zu schenken, denn so etwas Schönes hatte sie noch nie besessen. Sarah hatte sehr wohl bemerkt, daß ihre Mutter Stoffe bewunderte, die manchmal auf dem Marktplatz zum Verkauf angeboten wurden. Aber dann fiel ihr ein, daß sie vielleicht ausgeschimpft werden würde, weil sie so spät mit dem Wasser vom Fluß kam, und dachte sich schnell als Entschuldigung aus, sie habe eine entlaufene Ziege gesucht. Zu ihrer Überraschung empfing die Mutter sie glücklich und strahlend.
    »Ich habe eine wunderbare Nachricht für dich!« rief sie. »Gott sei gedankt. Du wirst noch in diesem Monat heiraten! Und dein Bräutigam wird den deiner Schwester noch übertreffen, obwohl alle sagen, Aziz sei

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