Das Paradies
Ihnen.«
»Kennen Sie mich?« fragte sie.
»Ja, ich kenne Sie, Sajjida«, erwiderte er leise. »Jasmina hat mir von Ihnen erzählt. Und ich sehe die Ähnlichkeit … dieselbe Kraft in Ihrem Blick wie bei Jasmina.« Als ihm bewußt wurde, daß er die Augen zusammenkniff, fügte er hinzu: »Bitte entschuldigen Sie. Man hat mir meine Brille weggenommen.«
»Sie sind mißhandelt worden«, sagte Khadija.
»Was ist mit Jasmina? Bitte, sagen Sie es mir. Geht es ihr gut? Hat man sie freigelassen?«
Seine Liebenswürdigkeit, sein sanftes Wesen und die Freundlichkeit in seinen Augen trotz seiner Leiden verwirrten Khadija. Sie blickte auf seine Hände und sah am Handgelenk eine Brandwunde, als habe jemand eine brennende Zigarette dort ausgedrückt. An den Wundrändern entdeckte sie etwas Blaues wie von einer Tätowierung.
»Meine Enkeltochter befindet sich im Gefängnis El Kanatir«, erwiderte sie. »Wir bemühen uns um ihre Freilassung.«
»Hat man sie gut behandelt?«
»Ja. Sie schreibt uns und sagt, daß es ihr gut geht. Sie hat … sich nach Ihnen erkundigt.«
Er ließ die Schultern hängen. »Ihre Enkelin ist eine tapfere und intelligente Frau, Sajjida … Sie möchte Ungerechtigkeiten auf dieser Welt korrigieren.« Er schwieg und schien zu bewegt, um weiter sprechen zu können. Khadija ließ ihm Zeit, sich zu sammeln. Als er weitersprach, mußte sie sich vorbeugen, um ihn zu verstehen. »Sie wußte, daß sie etwas Gefährliches tat, und war doch entschlossen, die Stimme zu erheben.« Er schluckte mehrmals und bewegte stumm die Lippen, dann sagte er: »Ich liebe Jasmina, Sajjida, und Jasmina liebt mich. Wir haben vor zu heiraten. Sobald …«
»Wie können Sie von Heirat sprechen, wenn Sie meiner Enkeltochter nichts zu bieten haben außer einem Leben voller Gefahren, voller Angt vor der Verhaftung, vor der Polizei? Außerdem sind Sie ein Christ, und meine Enkelin ist Muslimin.«
»Ich habe gehört, daß Ihr Sohn mit einer Christin verheiratet war.«
»Das ist wahr.«
Er legte den Kopf schief. »Gehören wir nicht alle zum Volk der Schrift, Sajjida? Sind wir nicht in erster Linie Araber und dann Ägypter? Ihr Prophet, Friede sei mit ihm, hat im Koran von meinem Gott gesprochen. Er berichtet, wie der Engel zu Maria kam und ihr sagte, sie, die nie von einem Mann berührt worden war, werde bald ein Kind gebären, das man Jesus, den Messias, nennen werde. Wenn Sie glauben, was im Koran geschrieben steht, Sajjida, glauben wir dann nicht an denselben Gott?« Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er lehnte sich schwer atmend zurück.
Khadija hörte die gedämpften Geräusche des Gefängnisses – ein Tor, das dröhnend zufiel, das Lachen von Männern und wütendes Geschrei. »Ja, Sajjid Jakob Mansour«, sagte sie, »wir glauben an denselben Gott.«
Dahiba ging in der kleinen Zelle hin und her und blieb ab und zu stehen, um zu lauschen, ob Jasmina zurückkam.
Schließlich erschien eine Wärterin, und sie stellte überrascht fest, daß es sich nicht um die gewohnte Fellachin handelte, sondern um eine Frau, die sie noch nie gesehen hatte.
»Ist etwas mit meiner Nichte?« fragte sie alarmiert.
»Packen Sie Ihre Sachen zusammen«, sagte die Frau knapp und blickte auf ihre Uhr.
»Wohin bringen Sie mich? Findet ein Verfahren statt?«
»Kein Verfahren. Sie sind frei. Sie können gehen.«
Dahiba starrte sie an. »Ich bin frei?!«
»Auf Anweisung des Präsidenten. Sie sind begnadigt worden.«
»Aber Sadat hat uns verhaften lassen! Weshalb begnadigt er uns jetzt?« Die Frau sah sie erstaunt an. »
Bismillah
! Hat es Ihnen niemand gesagt? Sadat ist vor fünf Tagen ermordet worden! Es gibt einen neuen Präsidenten. Er heißt Mubarak, und er hat alle politischen Gefangenen begnadigt.«
Dahiba sammelte schnell ihre Habe zusammen und ließ in der Eile, aus dem Gefängnis zu kommen, ehe die Wärterin oder Mubarak ihre Meinung ändern würden, alles mögliche fallen.
Im Gang begegnete sie Jasmina, die von der Krankenabteilung zurückkam. »Ist alles in Ordnung?« fragte Dahiba und drückte ihrer Nichte ein Kleiderbündel in die Arme. »Was hat der Arzt gesagt? Aus welchem Grund ist dir übel?«
Jasmina sah sie fassungslos an und fragte: »Tante, was ist denn los?«
»Sie lassen uns raus! Beeil dich, bevor sie es sich anders überlegen und sagen, es sei alles ein Irrtum!«
Vor dem Tor wartete die ganze Familie. Die beiden verwirrten Frauen wurden jubelnd und mit stürmischen Umarmungen empfangen.
»Hakim!«
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