Das Paradies
hatte sich einmal geschworen, nie mehr nach Ägypten zurückzukehren. Aber während ihres Aufenthalts in einer Londoner Klinik, wo sie nach ihrer Erkrankung behandelt wurde, hatte sie ein Vertreter der Stiftung besucht und ihr mitgeteilt, Dr. Connor brauche in einem Dorf am Nil einen Mitarbeiter mit Arabischkenntnissen. Amira hatte sich, ohne lange zu überlegen, freiwillig gemeldet.
Es war ein seltsames Gefühl, in diesem Hubschrauber zu sitzen, der tief über die fruchtbaren Felder und Kanäle flog, wo Büffel mit verbundenen Augen wie seit urdenklichen Zeiten im Kreis liefen und die Schöpfräder drehten. Noch seltsamer fand sie es, in einem modernen Hubschrauber über dieses Land zu fliegen, das gleichzeitig uralt und zeitlos war. Mit etwas Phantasie konnte man sich vorstellen, auf einem fliegenden Teppich zu sitzen. Sie sah die Frauen und Kinder vor den Kochfeuern, staunte über die kleinen Hütten und bewunderte die Kuppeln und Minarette der Moscheen – sie schwebte über allem, ohne dazuzugehören.
Als sie nach dem Flug von London auf dem internationalen Flughafen von Kairo gelandet war, hatte sie mit einer Art psychologischem Schock gerechnet, einem innerlichen Rückfall in Zorn und Depression. Und als sie das Flugzeug verließ, den Asphalt betrat und nach einundzwanzig Jahren zum ersten Mal wieder ägyptische Luft atmete, erwartete sie, irgendwie zutiefst erschüttert oder aufgeregt zu sein.
Aber nichts von all dem war geschehen. Sie war wie auf jedem Flughafen irgendwo auf der Welt mit den anderen Passagieren zur Gepäckausgabe und zum Zoll geeilt, hatte sich von der allgemeinen Hast und Geschäftigkeit anstecken lassen und verhielt sich so, als dürfe sie ihren Anschlußflug nicht verpassen. Das Geschiebe und Gedränge kam ihr unwirklich vor. Es hätte sie nicht gewundert, wenn alles nur ein Traum gewesen und sie im nächsten Augenblick im Krankenhausbett aufgewacht wäre. Die Leute um sie herum redeten laut und hatten sich viel zu erzählen. Amira hatte plötzlich die eigenartige Vorstellung, sie sei unsichtbar oder durchsichtig wie Glas und würde von den anderen überhaupt nicht wahrgenommen.
Das liegt an den Medikamenten, sagte sie sich, und an der gerade erst überstandenen Krankheit. Als sie zwei Stunden später im Hubschrauber saß, wurde ihr sofort nach dem Start übel, und sie konnte nicht aus dem Fenster sehen, als sie über die Stadt flogen. Und jetzt, nachdem sie Kairo hinter sich gelassen hatten, kam sie sich wie ein Geist vor.
Sie mußte lächeln. Es hat lange gedauert, bis ich endlich mit den Wolken, den Vögeln, vielleicht sogar mit den Engeln und den Geistern der Toten über meiner Heimat durch den Himmel fliege.
Bin ich wirklich zurück, fragte sie sich, als sie spürte, wie der Hubschrauber plötzlich vibrierte. Bin ich wirklich in Ägypten? Oder ist es nur wieder eine Halluzination, die von der Krankheit kommt?
Als sie in London mit hohem Fieber im Bett lag, hatte sie geglaubt, wieder Studentin zu sein und in der Anatomie zu stehen, wo sie aus einem unerfindlichen Grund Greg sezierte.
Es war zwar ein kühler Februartag, aber Amira wurde es plötzlich heiß. Sie griff nach der auf dem Flughafen gekauften Zeitung – die erste arabische nach einundzwanzig Jahren.
NEUER BOTSCHAFTER DER BUSH-REGIERUNG IN KAIRO !
Nach einem gelangweilten Blick auf die Schlagzeile fächelte sie sich Luft zu.
Amira hatte die Zeitung überflogen und dabei etwas Neues entdeckt, was es früher nie gegeben hatte: Heiratsanzeigen von Frauen. Die Anzeigen enthielten die üblichen Angaben wie Alter, Bildung und Herkunft. Die Hautfarbe schien besonders wichtig zu sein. Eine helle Hautfarbe galt offenbar als attraktiv und war oft durch Fettdruck hervorgehoben, Oliv oder Schwarz fand sie nur im Kleingedruckten.
Auf der Titelseite stand ein Artikel über einen jungen Mann, der nach einem Studienaufenthalt im Ausland nach Kairo zurückgekommen war und im Zimmer seiner unverheirateten Schwester ihm unbekannte Tabletten entdeckt hatte. Ein Apotheker sagte ihm, es sei ein Abtreibungsmittel. Der junge Mann hatte daraufhin seine Schwester umgebracht. Die Autopsie ergab, daß die junge Frau nicht schwanger und noch Jungfrau gewesen war. Man stellte weiter fest, daß das Opfer das Medikament, das angebliche »Abtreibungsmittel«, auf Anraten eines anderen Apothekers genommen hatte.
Der Verteidiger sagte in seinem Plädoyer, der Angeklagte sei unschuldig, denn er habe mit seiner Tat die Ehre der Familie
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