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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Ich erinnere mich an vieles, was in den Monaten geschah, in denen wir zusammen an der Übersetzung gearbeitet haben. Ich erinnere mich ganz besonders an unseren letzten gemeinsamen Abend, als wir uns beinahe küßten …
    Sie erreichten den Rand des Dorfes. Niedrige Gebäude aus luftgetrockneten Ziegeln, die wie Lagerhallen aussahen, standen hinter Bahngleisen. Viele Häuser hatten blaue Türen oder Handabdrücke in blauer Farbe, das Glückszeichen von Fatima, der Tochter des Propheten. Manche Fassaden waren mit Schiffen, Flugzeugen oder Autos bemalt; das verriet, daß der glückliche Bewohner die Pilgerreise nach Mekka gemacht hatte. Beinahe alle Häuser waren mit dem kunstvoll geschriebenen Namen »Allah« geschmückt, der Dschinns und den bösen Blick abwehren sollte. Während sie an den Frauen in Hauseingängen und alten Männern auf Bänken vorbeifuhren, die darauf warteten, daß die Zeit verging, und Amira die vertrauten Gerüche wahrnahm – kochende Bohnen in Öl, Brot im Backofen, Kuhfladen, die auf den Dächern trockneten –, spürte sie, daß die langen Jahre ihrer Abwesenheit ganz allmählich wie die Blütenblätter einer Blume von ihr abfielen. Ägypten stahl sich Stück für Stück zurück in ihre Knochen, in ihr Blut und ihre Muskeln. Was wird geschehen, fragte sich Amira, wenn es mein Herz erreicht?
    Connor winkte Nasr zu, der auf dem Marktplatz in eine andere Straße abbog, und fuhr zum südlichen Rand des Dorfes. Sie erreichten einen breiteren Lehmweg, auf dem Eselskarren fuhren und mit Zuckerrohr beladene Kamele trotteten. »Ich zeige Ihnen zuerst das Wohnhaus«, sagte er. Am Wegrand stand eine Plakatwand mit der Aufschrift: ALLE ZWANZIG SEKUNDEN WIRD EIN KIND GEBOREN . Die Tafel war vom Ministerium für Familienplanung aufgestellt worden.
    »Das«, sagte. Connor, »das ist unser größtes Problem. Die Überbevölkerung. Solange die Menschen so viele Kinder in die Welt setzen, werden wir Armut und Krankheit nie überwinden. Zu viele Kinder … das ist ein weltweites Problem, nicht nur ein Phänomen der Dritten Welt. Die Menschen vermehren sich auf unverantwortliche Weise. Ein ausgeglichenes Bevölkerungswachstum bedeutet eine kleine Familie, ein Mann und eine Frau, die dafür sorgen, daß Ersatz für sie da ist, wenn sie tot sind. Dafür genügen zwei Kinder. Welchen Sinn hat es, mehr in die Welt zu setzen? Wo bleibt die Verantwortung für die Zukunft? Wer denkt an die Erde, an die Ressourcen unseres Planeten, wenn eine Familie mehr als zwei Kinder hat?«
    Er wies rückwärts zu der Plakatwand, an der sie gerade vorbeigefahren waren. »Das nützt natürlich überhaupt nichts. Im Fernsehen und im Radio gibt es inzwischen jede Stunde Spots zur Geburtenkontrolle, aber die staatliche Propaganda hat keine große Wirkung, besonders nicht hier auf dem flachen Land, wo die Kinder schneller zur Welt kommen, als wir sie impfen können. Im vergangenen Jahr haben die Familienplanungs-Stellen in ganz Ägypten vier Millionen Kondome verteilt, aber die Leute haben sie als Luftballone für Kinder verkauft. Ein Kondom kostet nur fünf Piaster und ein Ballon dreißig.«
    Connor manövrierte den Wagen durch eine Gasse, die gerade breit genug für einen Esel mit zwei Körben war. Endlich erreichten sie das freie Land, und Amira sah den Nil im flammenden Orange des Sonnenuntergangs aufglühen. Connor hielt vor einem kleinen Steinhaus inmitten von Maulbeerbäumen an und sagte: »Die Krankenstation, wo Sie wohnen werden, ist dort hinten. Wenn ich weg bin, ziehen Sie hierher um. Das Haus gehört der Stiftung. Es hat drei Zimmer, es gibt Elektrizität und ein Dienstmädchen.«
    Er musterte sie einen Augenblick und sagte dann leiser: »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Amy. Es tut mir nur leid, daß uns vor meiner Abreise nicht mehr Zeit zusammen bleibt. Jedenfalls …«, er griff nach dem Koffer auf dem Rücksitz, »jedenfalls bringe ich Sie jetzt erst einmal hinüber zur Krankenstation. Wir müssen den Wagen hier stehenlassen.«
    Während sie am Fluß entlanggingen, schien die Abendsonne den Himmel als Leinwand für ein heiteres Spiel mit strahlenden Farben zu benutzen. Amira freute sich über das helle Türkis, das leuchtende Zitronengelb und das sanfte Pfirsichrot. Als sie die Krankenstation erreichten, war die Sonne bereits hinter den roten Hügeln am Westufer des Nils verschwunden. Vor den drei niedrigen Gebäuden hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Amira sah Männer, Kinder und ältere Frauen. Sie wußte,

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