Das Paradies
Das führte dazu, daß man die jungen Leute in eine bereits aufgeblasene und kopflastige Verwaltung steckte. Sie erhielten Stellungen mit imposant klingenden Bezeichnungen, aber in Wirklichkeit hatten sie alle kaum etwas Sinnvolles zu tun und nichts zu sagen.
Mohammeds Pflichten beschränkten sich darauf, seinem Vorgesetzten Tee zu bringen, Berge nutzloser Formulare zu stempeln und Antragsteller mit ihren Beschwerden durch die labyrinthische Bürokratie zu schleusen. Ein Satz war in seiner Position immer richtig: »
Bukra
, kommen Sie morgen wieder.«
Dazu brauchte man aber weiß Gott kein Universitätsstudium, und es war keine Karriere für einen jungen Mann, der in zwei Monaten fünf- undzwanzig wurde.
Wenn sich Mohammed mit der Zukunft beschäftigte, dann sah er sich mit dreißig, vielleicht sogar mit vierzig noch immer in diesem schäbigen kleinen Büro sitzen. Er würde bei der schlechten Bezahlung in alle Ewigkeit unverheiratet sein. Und am schlimmsten von allem: Mimi war und blieb unerreichbar für ihn.
Aber er war von ihr besessen – besessen von der Idee, sie zu erobern, sie zu lieben und sie zu besitzen. Er wollte sie auf Händen tragen, sie verwöhnen, ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen, und sie würde für ihn tanzen, für ihn und seine unstillbare Leidenschaft Nacht für Nacht dasein. Sie würde sich nach ihm und seinen heißen Küssen verzehren. Dieses Gift! Es brachte ihn noch um.
Wenn er doch wenigstens heiraten könnte. Vielleicht hätte eine Frau das Gift aus seinem Körper vertrieben.
Aber an eine Heirat war ebensowenig zu denken wie an die Eroberung von Mimi. Wie jeder andere junge Mann in Kairo mußte Mohammed zuerst Geld verdienen, es zusammenhalten und damit unter Beweis stellen, daß er eine Familie ernähren konnte. Dann folgte das endlose Warten auf eine freie Wohnung in dieser Stadt, die von Tag zu Tag mehr aus den Nähten platzte.
Wie sollte er mit seinem kümmerlichen Gehalt so etwas je schaffen?
Seinen Vater konnte er nicht um Hilfe bitten. Omar mußte eine ganze Kinderschar versorgen. Und Großvater Ibrahims Lasten waren mit den vielen Bewohnern des Hauses in der Paradies-Straße groß genug. Man erwartete von ihm, daß er sein Leben selbst in die Hand nahm.
Mohammed murmelte: »Ich bin zu jedem Opfer bereit, nur um Mimi einmal in die Arme nehmen zu können.«
Das Klingeln des Telefons riß ihn aus seinen Tagträumen. Er schob die Papiere beiseite. Es wurden von Tag zu Tag mehr. (Warum sollte er sich beeilen? Das Stempeln und Registrieren der Anträge war in seinen Augen reiner Schwachsinn und völlig überflüssig!) Nach dem fünften Klingelzeichen meldete er sich gelangweilt mit: »Sajjid Jussufs Büro.« Er würde den Anrufer mit dem üblichen »Sajjid Jussuf ist ein vielbeschäftigter Mann« abwimmeln. Das war schließlich seine Anweisung. Wenn der Betreffende nicht locker ließ, würde er andeuten, daß eine gewisse Summe die Angelegenheit eventuell beschleunigen könne. Bakschisch war für einen unterbezahlten Regierungsangestellten die einzige Möglichkeit, das Ungleichgewicht etwas zu seinen Gunsten zu verschieben.
Zu Mohammeds Überraschung war sein Großvater am Apparat. Er klang erschöpft und bedrückt. »Mohammed, ich habe versucht, deine Tante Dahiba zu erreichen, aber das Telefon in ihrem Studio funktioniert wieder einmal nicht. Bitte geh auf dem Nachhauseweg vorbei und sag ihr, daß sie möglichst sofort in meine Praxis kommen soll. Es ist sehr wichtig.«
»Ja, Großvater«, versprach Mohammed und legte auf. Was mochte denn so wichtig sein? Er hatte keine große Lust, bei seiner Tante vorbeizugehen. Deshalb griff er nach dem Hörer und wählte ihre Nummer. Wie es in Kairo üblich war, lauschte er dabei nach jeder Ziffer auf das Klicken, ehe er weiterwählte. Nach der letzten Ziffer wurde er jedoch mit der vertrauten Stille einer toten Leitung belohnt.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war erst halb eins. Mohammed arbeitete von neun bis zwei mit einer einstündigen Mittagspause. Aber er wußte, man würde ihn nicht vermissen. Deshalb beschloß er, das Büro abzuschließen, seiner Tante die Nachricht zu überbringen und danach zu dem einzigen Platz in der Stadt zu gehen, wo er sich seinen Tagträumen über Mimi ungestört überlassen konnte.
Ibrahim legte den Hörer auf und blickte aus dem Fenster seines Sprechzimmers. Ihm bot sich das übliche Bild. Die Straßen waren verstopft von stinkenden Lastwagen, Taxis, Limousinen, Schubkarren,
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