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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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an eine Bleibe gehabt, eine Schlafmatte und sie befand sich in Gesellschaft von Menschen, die ihre Freunde waren. Einigen der Bettler war es viel schlechter ergangen als ihr, denn sie waren als völlig gesunde Männer zu der mächtigen Najiba gekommen. Sie mußten erst zu »Bettlern« gemacht werden und ließen sich bereitwillig verstümmeln und ihre Körper entstellen, da sie nur so viel Geld erbetteln konnten. Die Frauen mußten sich Männern zum Sex anbieten. Prostitution war zwar nicht verboten, aber es war ein entehrendes Gewerbe. Nach den ersten schrecklichen Wochen in der Stadt befürchtete Sarah, sie werde auf der Straße verhungern und die Menschen würden teilnahmslos einfach um sie herum gehen. So war der Schutz selbst einer so geldgierigen und eiskalten Frau wie Najiba für sie eine Rettung in größter Not gewesen.
    Nach der dritten Wehe entfernte sich Sarah von der Menschenmenge und blickte nach dem Stand der Sonne. Im Dorf war es immer so einfach gewesen, die Tageszeit zu bestimmen, aber hier in der Stadt, wo überall hohe Gebäude, Kuppeln und Minarette hoch in den Himmel ragten, sah man die Sonne nicht so ohne weiteres. Hinter dem Dach des Turf Clubs färbte sich der Himmel rot. Der Tag ging zur Neige. Sarah wußte mit großer innerer Sicherheit, ihr Kind würde in der kalten Januarnacht auf die Welt kommen.
    Plötzlich empfand Sarah eine große Freude. Endlich war es soweit! Sie schien bereits eine Ewigkeit auf Abdus Kind gewartet zu haben. Sarah bog schnell in eine Seitenstraße, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und lief dann in Richtung Nil. Die Straße, wo Najiba mit ihren Bettlern lebte, befand sich zwar in der anderen Richtung, in der Altstadt von Kairo, aber Sarah wollte nicht dorthin. Zuerst mußte sie etwas anderes tun, und das bedeutete, den neuesten Stadtteil Kairos zu durchqueren, wo glänzende Autos durch breite Alleen fuhren und Frauen in kurzen Röcken und hohen Absätzen mit ihren Einkäufen auf den gepflegten Gehwegen liefen. In diesem Viertel sah man schmutzige Fellachen-Mädchen nur ungern.
    Als Sarah sich endlich dem Fluß näherte, verschwand die Sonne bereits hinter dem Horizont, und die kurze Dämmerung brach an. Sarah spürte, daß sie sich beeilen mußte. Die stechenden Schmerzen folgten immer dichter aufeinander. Aber sie war entschlossen, das zu tun, was sie tun mußte, und sie würde erst danach zu Madame Najiba gehen.
    Größte Vorsicht war geboten, denn die englische Kaserne befand sich ganz in der Nähe, und dahinter stand das große Museum, das gerade schloß und aus dem die Besucher strömten. Sarah zitterte. Es wurde sehr schnell kalt. Zu Hause im Dorf würde sie jetzt den alten Büffel in den kleinen Stall bringen und dann in die Lehmhütte ihres Vaters eilen, wo das Feuer wohlige Wärme verbreitete.
    Was war nach ihrem Verschwinden im Dorf geschehen? War Scheich Hamid sehr zornig über den Verlust seiner Braut gewesen? Hatte ihr Vater sie mit seinen Brüdern gesucht, um sie zu töten? Hatten sie ihre Mutter geschlagen, um die Wahrheit von ihr zu erfahren? Oder war das Leben einfach weitergegangen und das Verschwinden von Sarah Bint Tewfik mittlerweile nur eine der vielen Geschichten, die man im Dorf erzählte?
    Sarah erinnerte sich nur ungern an die ersten Tage in Kairo. Damals hatte sie nicht daran gezweifelt, Abdu finden zu können. Aber sie hatte sich die Stadt nicht so groß vorgestellt und mit so vielen Menschen, so vielen Fremden, die sie einfach übersahen oder ärgerlich auf die Hupen drückten, damit sie ihnen aus dem Weg ging. Die Türsteher hatten sie ausgeschimpft, wenn sie nachts in den Auffahrten lag, um zu schlafen. Die Straßenhändler vertrieben Sarah, weil sie dachten, das Mädchen würde ihnen etwas stehlen. Dann war ein Polizist gekommen und hatte erklärt, er werde sie verhaften. Statt dessen brachte er sie in seine Wohnung, wo sie ihm drei Tage und Nächte zu Willen sein mußte, ehe ihr die Flucht gelang. Schließlich entdeckte sie die seltsame Brücke, unter der Krüppel und Bettler lebten. Sarah hatte versucht, von den Passanten ein Almosen zu erbetteln. Aber eine am Kinn tätowierte Frau hatte sie angeschrien und fortgejagt. Die Frau erklärte, das sei ihre Brücke, und wenn Sarah hier betteln wolle, dann müßte Najiba damit einverstanden sein, und Sarah müßte ein Abkommen mit ihr treffen.
    Seitdem bettelte Sarah für die bemerkenswerte Najiba – ihr Name bedeutete »die Kluge«. Sarah lieferte ihr die Hälfte der Tageseinnahmen ab.

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