Das Parsifal-Mosaik
den Vorteil zu überlassen, den Treffpunkt zu bestimmen, wäre genauso falsch gewesen; sie würde das Viertel mit Leuten umstellen, die nicht auf der Gehaltsliste des Quai d'Orsay standen. Die Broussac war clever genug, um zu wissen, wann sie die Regierung einzuschalten hatte und wann nicht. Und je nachdem, was Jenna ihr gesagt hatte, würde sie vielleicht der Ansicht sein, daß eher inoffizielle Methoden angebracht waren, um mit dem ehemaligen, aus dem Gleichgewicht geratenen amerikanischen Agenten fertig zu werden. Havelock begriff, daß er die Broussac allein sehen mußte; und um das zu erreichen, mußte er sie überzeugen, daß er nicht gefährlich war - nicht für sie - und über Informationen verfügte, die besonders wertvoll sein konnten. Ein seltsamer Gedanke kam ihm, als er die endlosen Stufen vom Montmartre hinunterging. Er war selbst auf der Suche nach der Wahrheit und würde der Französin einen Teil der Wahr heit, soweit sie ihm bereits bewußt war, mitteilen, aber nicht alles. Lügner verdrehten die Wahrheit, und es konnte sein, daß Regine Broussac auf sie hörte. Sie stand im Pariser Telefonbuch. In der Rue Losserand wohnte sie.
»... Ich habe Ihnen noch nie falsche Informationen geliefert, und das wird auch heute nicht anders sein. Damit Sie sich selbst ein Bild machen können, sollten Sie unter irgendeinem Namen aus dem Quai d'Orsay die amerikanische Botschaft anrufen. Erkundigen Sie sich nach meinem Status. Sagen Sie, ich hätte Sie irgendwo aus dem Süden angerufen und wolle mich mit Ihnen treffen. Als Mitarbeiterin einer befreundeten Regierung können Sie ohne weiteres Instruktionen erbitten. Ich rufe Sie in zehn Minuten zurück ... nicht von diesem Apparat aus, natürlich.« »Natürlich. In zehn Minuten.« »Regine?« »Ja?«
»Denken Sie an Bonn.«
Havelock ging weiter in Richtung Süden zur Place Berlioz und sah dabei immer wieder auf die Uhr, weil er die vereinbarten zehn Minuten um weitere fünf bis sieben verlängern wollte. Wenn man einen Rückruf unter Umständen wie diesen hinauszögerte, so führte das oft dazu, daß der Empfänger mehr sagte, als er eigentlich sagen wollte.
Havelocks Anruf war seit neun Minuten überfällig, als er wieder in eine Telefonzelle trat und Regine Broussacs Nummer wählte. »Ja?« Ihre Stimme war bereits nach dem ersten Klingeln zu hören. Sie war nervös; inzwischen hatte sie die Botschaft erreicht. »Haben Sie mit dem Attache gesprochen?« »Sie haben sich verspätet. Sie sagten zehn Minuten.« »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja. Ich will mich mit Ihnen treffen. Kommen Sie so schnell wie möglich in meine Wohnung.« »Sony. Ich rufe Sie in ein paar Minuten zurück.« »Havelock!«
Er legte auf, verließ die Zelle und hielt auf der Straße nach einem freien Taxi Ausschau.
Fünfundzwanzig Minuten später stand er in einem Telefonhäuschen. »Ja!«
»Nehmen Sie die Metro bis zur Station Bercy, und gehen Sie am Ausgang der Straße rechts hinunter, bis Sie zu einer Reihe von Lagerhäusern gelangen. Dort werde ich auf Sie warten. Kommen Sie allein, ich werde merken, wenn jemand bei Ihnen ist. Wenn Sie nicht allein sind, zeige ich mich nicht.« »Das ist lächerlich! Eine Frau allein nachts in Bercy!« »Wenn um die Zeit jemand dort ist, warne ich ihn vor Ihnen.« »Eine Unverschämtheit! Was denken Sie sich überhaupt?« »Ich erinnere mich daran, was vor einem Jahr auf einer anderen Straße geschehen ist«, sagte Michael. »In Bonn.« Er legte den Hörer auf die Gabel und unterbrach die Verbindung. Die Gegend war verlassen, die Lagerhäuser lagen im Dunkeln, die Straßen waren nur schwach beleuchtet. Stunde und Ort waren günstig für ein ungestörtes Gespräch. Und im Gegensatz zu einem Cafe oder einem Park gab es hier nur wenige Stellen, wo sich ein unbekannter Beobachter verbergen konnte. Die wenigen Bewohner des Viertels, die aus der Metrostation kamen, ließen sich gut beobachten, und ein Zögern oder ein plötzliches Verschwinden würde ihm sofort auffallen. Aber der größte Vorteil lag natürlich darin, sich bereits an dem verabredeten Treffpunkt zu befinden. Er verließ die Zelle und überquerte den Boulevard de Bercy. Auf der anderen Straßenseite standen zwei Lkws hintereinander vor einer Laderampe. Er versteckte sich zwischen den beiden Fahrzeugen, von wo er die Straße nach beiden Seiten ungehindert überblicken konnte. Regine Broussac würde kommen, denn sie war außerstande, dem Köder, den er ausgeworfen hatte, zu widerstehen.
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